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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Käthe ent sc hied, daß e s ihre P f licht sei, dem Nachwuchs d er he r rschenden Klasse die Bedeutung des historischen Augenblicks nahezubringen. Herr Fehr war ohnehin nic h t m ehr da; er war sofort zu seiner Fabrik aufgebrochen. Also mußte sie nie m anden um Erlaubnis fragen und teilte der Köchin nur m it, sie m ache m it Carla und d e m jungen König einen Spaziergang.
    Die Tra m bahnen waren überfüllt, un d bis sie m it Carla und Robert an der Theresienwiese anka m , wo die Revolution ihren Ausgang genom m en ha t t e, war ihre Stim m e heiser und ihr Körper voller Druckstellen und roter Flecke n . Aber das m achte ihr n i chts aus, nicht he u te, und als einer d e r Redakteure der Münchner Post, den sie sonst wegen seiner herablassenden Bem e rkungen über Blaustrü m pfe i m allge m einen und schreibende Frauen im besonderen beinahe gehaßt hatte, sie erkannte, an sich drü c kte und statt einer Begrüßung schallend auf die W ange küßte, lachte sie nur und erwiderte die U m armung. »Es lebe die Revolution!«
     
    Die Aufregung dieses Nov e m bert a ges blieb für Carla lange das einzig Greifbare, das sich m it dem Begriff Revolution verband. Als Fräulein Brod ihr ein p aar Tage s p äter sagte, der Kaiser habe abgedankt und das ganze Reich sei nunmehr ebenfalls eine Republik, begriff sie durchaus, was da m it g e m eint war, aber die Vorstellung blieb abstrakt und kühl wie eine m ath e m atische For m el. Nur die Auswi r kungen auf Käthe Brod fesselten sie. Ihre Erzieherin war ihr im m er wie eine der sch m alen, unerreichbaren Kerzen vorgekom m en, die auf dem Altar brannten. Nun war es, als hätte ein W i ndstoß sie so zum Flackern ge bracht, d aß sie s i ch je d en Mo m ent in ei n e Fackel v e r wandeln konnte. Carla wartete auf einen erneuten Ausbruch, aber der kam nicht.
    Ihre S tie f m utt e r Anni h atte auf d a s E nde des Krieges zunächst auch begei s tert reagiert, aber als sich herausstellte, daß Carlas Vater i mm er weniger Zeit m it ihr und im m er m ehr m it jenen Bekannten verbrachte, die bis vor kurzem noch einen weiten B ogen um se i n Haus ge m acht hatten, verwandelte sich ihr Enthusiasmus in Enttäuschung. Sie hatte geglaubt, nach dem Kri e g würde das Leben aus Feiern und vielen neuen Kleidern und vor all e m viel Spaß bestehen, nicht aus endlosen l a ngweiligen Unterhaltu n gen, die Hein r i ch m i t ande r en alten Männern in seinem Raucherzim m er führte und bei denen m an sie ohnehin nicht zuhören ließ. Ihre alten Freunde durfte sie nicht m ehr sehen, und die Di e nstboten l i eßen sie spüren, was m an von ihr hielt. Es geschah selten, daß sie über etwas nachgrübelte, aber nun ka m en ihr Zweifel, ob es richtig g e wesen war, das Leben als Elevin beim Ballett aufzugeben. Sie war früher öfter hungrig gewesen, aber Einsa m keit war ein neues und sehr unangenehmes Gefühl. Um ihm zu entgehen, verbrachte s i e viel Zeit m it den Kindern.
    »Sie ist ein ganz schönes Dummchen«, stellte Robert ein m al m itleidlos fest, als ihm Anni seine Geschichte von einer Begegnung m it russischen S pionen, die Kinder ent f ührten, widerspruchslos geglaubt hatte. »Nett, aber blöd.«
    »Nicht so blöd, daß m an sie aus der Schule geworfen hätte«, gab Carla sc h arf zurück.
    Obwohl sie zuerst eifersüchtig gewesen war, m o chte sie Anni, was vor allem daran lag, daß Anni seit Jahren der erste Mensch war, der sich ihr gegenüber durchweg liebevoll verhielt. Es war einfach unmöglich, Anni m it ihrer unko m pli z ierten Zuneigung und ihrer Gutgläubigkeit, die von allen im m er d a s Beste annah m , nicht gern zu haben.
    »Man hat m i ch nicht rausgeworf e n«, protestierte Robert gekränkt.
    »Es war todlangweilig dort. Außer d em hat m eine Mutt e r i mm er gesagt, das Schulsystem sei…«
    Er verstum m te jäh. Er sprach nicht von seiner Mutter, wenn es sich ver m eiden ließ. Carla fragte nicht nach dem Ende des Satzes, und er wußte, weswegen. Sie sprach üb e rhaupt nicht von ihrer Mutter, und anders als b ei s ein e r F a m ilie t a t d a s auch nie m and son s t in i h rer Hörweite. E r wußte nicht, ob er sie darum beneiden sollte.
    Sie stritten n icht n u r. Als er ihr d a s er ste M al m it Hil f e des Z a uberkastens, den Dada Gold m ann ihm ges c henkt hatte, einige seiner besten Tricks vorführte, war sie endlich gebührend beeindruckt gewesen. U m gekehrt entdeckte er, daß sie neben ihrer Schlagfertigkeit ein großartiges Gedächtnis und freien

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