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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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sagte der Junge, und Car l a stellte verärgert fest, daß er nicht im geringsten beleidigt d r einschaute, »ich bin Kasperl.«
    Und da er sie im m er no c h festhielt, zwang er sie, seiner Bewegung zu folgen, als er sich v or den Er w achsenen verbeugte. Es war das erste Unentschieden in einem langen W ettbewerb, und beide wußten es.
    Die Villa F ehr hatte, wie d ie m ei s ten Häuser in Bogenhausen, einen großen Garten, aber durch den Krieg war er völlig v erw ilde r t; der Gärtner gehörte zu j e nen, die sich sei n erzeit freiwillig ge m eldet hatten, und sein Ersatz m ann war eingezogen worden. Im Som m er wirkten die üppig wuchernden, ungeschnittenen Hecken und Sträucher ro m antisch; in diesem Monat glichen sie nur noch scharfen, schwarzen Ausrufezeichen in ei n er grauen La n dschaft, und ein Ast verfing sich in Carlas Mante l . S ie riß sich ungeduldig los.
    » W ie alt bist du ? « fragte Robert, der m it ihr hinausgeschickt worden war und sie beobachtete.
    »Älter als du«, entgegnete sie hochmütig. »Das sieht m an gleich. Du schaust immer noch aus wie ein Baby!«
    Das war ausgesprochen boshaft, denn er war pausbäckig, und er wußte es. Es erinnerte ihn an einige Kinder in der Nachbarschaft, in B a m berg, wo sie gewohnt hatten, ehe seine Mutter entschied, daß sie nach München gehörten. D a m als war er noch dicker gewesen als jetzt, und sie hatten Klößla hinter ihm hergebrüllt. Es war im m er leichter gewesen, Erwachsene zu beeindrucken und in Mamas Salon aufzutreten.
    »Du schaust aus wie eine dürre Z itrone«, gab er zurück. »Gelb vor Eifersucht.«
    Er überlegte, ob er noch eine Beleidigung hinzufügen sollte, eine m it ein paar Fre m dwörtern. Inzwischen hatte er herausgefunden, wie es andere Kinder verwirrte und verärgerte, wenn sie etwas nicht verstanden.
    Carlas Gesicht bran n t e, was auch daran lag, daß sie sich hatte waschen m üssen. Die kalte Nov e m berluft stach in ihre Poren. Verächtlich stieß sie den At e m z w ischen den Zähnen aus und i m itierte Fräulein Brods akzentfreie, s orgfältig d u rchkonstr u i erte Sprechweise.
    » W arum sollte ich e i f er s üchtig s e i n ? Du bist doch nur hier, weil du noch nicht ein m al genug für die W ilhel m sschule weißt.«
    Dies m al fühlte er sich n i cht get r offen, denn er sah seinen kurzen Aufenthalt an der alten Schule im Lehel nicht als Ver s agen an; er hatte ihn nur gelangweilt. Aber er war beeindruckt von Carlas Ausdrucksweise. In ihm verfestigte sich m ehr und m ehr der Argwohn, daß es sich bei diesem Mädchen um eine ernstzuneh m ende Konkurrentin handelte.
    »Du bist eifersüchtig«, wiederholte er ungerührt. »Mit einem Vater wie dem deinen wäre ich auch eifersüchtig.«
    Ihre Haut w ar sehr blaß, wie h ä ufig bei Rothaarigen, und er konnte die wenigen Sommersprossen auf i h rer Nase erkennen, als sie tief Luft holte.
    »Besser m ein Vater als deiner«, schoß sie zurück. »Meiner kann nä m lich a m Abend noch richtig sprechen!«
    Sie standen sich gegenüber und starr t en sich feindselig an. Robert überle g te, sie einfach stehenzulass e n, aber das würde sie als Sieg auffassen, und dann m ü ßte er in den Salon zurück. Und sein Vater hatte m ittlerweile das Stadium erreicht, in dem er anfing, über Roberts Mutter zu kla g en. Der Anbli c k war ihm m ittlerweile vertraut und zutiefst verhaßt; sein Vater, der schluchzte und immer die gleichen Dinge sagte, ohne es zu be m er k en, der glaubte, tragisch zu wirken, und über den sich seine Freunde in W irklichkeit n u r noch lustig m achten. In einer Mischung aus Grauen und Scham kroch der Gedanke in ihm hoch, daß es viellei c ht besser gewesen wäre, wenn Papa und nicht Dada Gold m ann eingezogen worden wäre. Er haßte sich dafür, und er haßte das rothaarige Mädchen, das ihn dazu brachte, so etwas zu denken.
    Dann fiel i h m der Klatsch wieder e i n, den er in den zahlreichen Salons gehört hatte, in denen er s e ine Zauberkunststücke aufführte und seine Gedichte dekla m i erte. Seine Augen verengten sich.
    »Deine Mutter…«, begann er und hielt abrupt inne.
    Alle Selbstsicherheit war von Car l a abgefallen; sie sah noch nicht ein m al m ehr feindselig aus, sondern verunsichert und sehr, sehr hilflos, wie der Vogel, der vorige W oche gegen das Fenster seines Zi mm ers geflogen war. Er h atte v erge b lich versucht, ihn zu retten. Plötzlich kam ihm das, was er sagen wollte, ge m ein vor, ge m einer, als sie es verdient hatte. Carlas

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