Unter dem Zwillingsstern
m it Rouge, schwarz geränderten Augen und bräunlichem Make-up. Nicht, daß er es nötig gehabt hät t e. Mit seinem klassischen Profil und seiner Ephebenfigur war er nic h t nur ein gutaussehender, sondern sogar ein schöner Mann, ganz i m Gegensatz zu Dieter, der m it seiner großen Nase und den kleinen Augen unleugbar einem Elefanten ähnelte. Je d er, der ihnen zum erstenmal begegnet e , f ragte sich unwillkürlich, was sie zusam m engebracht hatte, de n n sie teilten nicht n u r ihr Theater, sondern auch ihr Leb e n. Es war eine Beziehung, die ihre Höhen und Tiefen besaß, doch sie bewährte sich nun schon seit Jahren. Eine der Grundlagen dafür war unbegrenztes Vertrauen in die Fähigkeiten des anderen, und daher verzichtete Jean-Pierre auf die sarkastische Frage, ob nun nicht vi e lleicht Dieters Urteilsver m ögen von dem unaufhaltsam näherrückenden Urauffüh r ungster m in beeinflußt w orden war.
Der junge Mann, der auf der Bühne stand und unbefangen m it d e m Beleuchter plauderte, war in der Tat groß, sehr groß, aber nicht eigentlich dick, eher kräftig, wie ein tapsiger Bär. Als der Beleuchter Jean-Pierre und Dieter hereinkom m e n sah, sagte er e t was zu ihm und verschwand dann von der Bühne. Der Junge blieb, wo er war, und schaute ihnen entgegen, neugier i g, nicht beunruhigt. Nun, wenn die Selbstsicherheit nicht echt war, dann konnte er tatsächlich spielen, dachte J e an - Pierre b elu s tigt, wäh r e n d Dieter s i c h auf einem Sitz in den m ittleren Reihen niederließ und rief:
»Sie können jetzt anfangen, Herr König.«
Jean-Pi e r r e wollte s i ch eben f alls setzen, doch b ei den e r s t e n W orten ihres Aspiranten blieb er ste h en und verstand, weswegen Dieter ihn geholt hatte. Die Stimme war außergewöhnlich, volltönend, tief; sie trug m ü helos d u rch den ga n z e n Raum und ver m itt e lte in ih r er Modulation, die von Arroganz über Zynis m us bis zu de m ütigem Flehen reichte, trotzdem den Eindruck von Inti m ität. Das Erstaunlichste war, daß der Träger dieses perfe k ten Instru m ents ganz offen s ichtlich keine Ausbildung hatte, denn seine ganze Körpersprache stam m te direkt aus dem Sch m ierentheater. E s war alles hoffnungslos übertrieben, die Hand auf der Stirn, das wütende Aufstampfen m it dem Fuß, das wilde Gestikulieren. Er sprach, unver m e i dlich, einen Monolog aus dem Faust, wie jeder junge Schauspieler. Nun, der Herzog in Jud Süß war de f i nitiv n i cht Faust, aber so schlec h t, dachte J ea n-Pie r re a m üsiert, war die W ahl gar nicht. Immerhin gelüstete es beide nach unschuldigen jungen Mädchen.
Was ihn frappierte, war, daß der Junge sich nicht den berüh m ten Eröffnung s monolog ausgesucht hatte oder den großen Prosaausbruch über Gretchens Schicksal, sondern den Schluß der Nachtszene, Fausts Selbst m ordversuch. Und so a m ateurhaft und outriert es auch wirkte, wenn er die Hände rang, da war die Stim m e, die m it einer resignierenden Verzweiflung und einem Unterton von Selbsthaß, der perfekt pa ßt e, sa g t e: » A ch! unsre T aten selbst, so gut als unsre Leiden/ Sie hemmen unsres Lebens Gang. «
Gleich darauf schlug sie in wütende Energie um, und der letzte Rest von Belustigung erstarb in Jean-Pierre. »Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen/ Dann heißt das Beßre Trug und Wahn«, stieß der Junge hervor, und die absolute Ü berzeugung, die ihn u m gab, war genauso greifbar wie die Präsenz, d i e all das G efuchtel überstrahlte. Ganz gleich, ob m an ihn lächerlich oder eindrucksvoll fand, so, wie er da auf der Bühne stand, konn t e m an die Augen nicht von ihm neh m en.
Erst jetzt be m erkte Jean-Pierre, daß er noch immer stand, setzte sich neben Dieter und flüsterte: »Es ist ein Risiko, aber wenn wir ihm die Flausen austreiben können, dann haben wir unseren Herzog.«
Dieter verzog keine Miene; er knetete nachdenklich sein Kinn. Er würde Josef Süß Oppenhei m er spielen, die Hauptrolle, was bedeutete, daß die Unfähigkeit des Darstellers, der die m eisten Szenen m i t ihm hatte, auto m atisch auch auf ihn zurückfiel.
Der junge B är auf der B ühne war inzwischen erst bei der »einzigen Phiole« angekommen, als Dieter i h n unterbrach, was er selten tat, denn es gab wenig, was einen jungen Schauspieler m ehr aus dem Konzept brachte.
»Es ist g u t, Herr König«, rief er.
Der Junge hielt inne. Doch statt n o ch einige Augenblicke unsicher auf der Bühne heru m zustehen, bevor er m it gesenktem Kopf
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