Unter dem Zwillingsstern
ersc h ien ihm i m Zweifelsfall noch als die bessere Möglichkeit, den Jungen seinen jugendlichen Über m ut ausleben zu la s sen.
Als Robert in der Schweiz eintraf, hatte nicht nur die südliche Sonne in ihm ihre Spuren hinterlassen. Er genoß es, unterwegs zu sein, aber nicht nur war die Schweiz so etwas wie eine Erholung nach der Reise, sie bot auch die Chance, Dadas Bestechungsversuch zu sabotieren. Er war enttäuscht, das große Schauspielhaus nur von Gastense m bles benutzt vorzufinden, aber dann begegnete er zufällig einem jungen Schauspieler, den er in I t alien kennengelernt hatte und der ihm versprach, ihn zumindest als Statist unterbringen zu können. In dem D ra m a Jud Süß nach dem großen Ro m a nerfolg vom Vorjahr würden ein paar Soldaten gebrauc h t, und bei Roberts S t atur war es sicher, daß er genom m e n wurde. D i e Gage war m ehr oder weniger no m i nell, aber Robert erschien es als eine angeneh m e Möglichkeit, seine p ersö n liche grand tour abzuschließen. Doch noch während er m it ein paar anderen darauf wartete, eingelassen zu werden, hörte er den Klatsch über den plötzlich ausgefallenen Herzog. Danach erwies es sich als un m öglich, nicht zu versuchen, dieses Geschenk des Schicksals auszunutzen.
Er erkannte bald, daß er großes G l ück gehabt hatte. Dieter und Jean-Pierre arbeiteten ständig m it ih m ; seit dem Tod seiner Mutter hatte nie m and m ehr so per m anent und gleichzeitig unnachgiebig das Beste von ihm erwartet. Dabei gingen sie auf verschiedene W eise vor. Dieter, der m it sei n er eigenen Rolle und d e r Regie weniger freien Raum ha t t e, gab ihm hauptsächlich Anweisungen bezüglich seiner Bewegungen, wies ihn auf die Schwachstellen seiner Interpretation hin und ließ ihn die gelungenen Punkte wieder und wieder nachspielen, »um aus einer guten I m provisati o n eine Darstellung zu machen«, wie er sa g te.
Jean-Pierre redete m it ihm über d a s Stück und ließ ihn alle anderen Rollen lesen und verkörpern, nicht nur, um ihm ein Gefühl für das Ganze zu geben, sondern auch, um seine Darstellungs m öglichkeiten auszuweite n . Mit Jea n -Pierre zu pr oben hatte allerdings auch sei n e Tücken. Er war nicht so geduldig w i e Dieter und m it einem beunruhigenden Scharfblick für anderer Leute Schwächen ausgestattet.
»Mein lieber Junge«, sagte er, nac h dem Robert zie m lich lustlos die langweilige Rolle eines württe m bergischen P arla m entariers heruntergerattert hatte, »wenn du das f ü r unter d e i n er W ürde hält s t ich kann m i r interessantere Arten vorst e llen, den Tag zu verbringen, als für dich Kinder m ädchen zu spielen.«
»Aber nie m and«, begehrte Robert auf, was er bei Dieter nicht tat,
»würde m ic h als staubtrockenen Abgeordneten m it zehn Zeilen Text sehen wollen. Das ist vollkom m en unnötig!«
»Nun, so wie du jetzt bist, wird dich auch nie m and als Herzog Karl Alexander sehen wollen«, entgegnete Jean-Pierre und lieferte eine so treffende Parodie von Robert, wie er als Karl Alexander donnerte, daß Heidi, die ihnen gerade Kaf f ee brachte, in Gelächter ausbrach. Robert lachte ebenfalls, aber etwas gezwungen, und begann, nach Schwachstellen bei Jean-Pierre zu s u chen.
Die üb r igen Ense m ble-Mitglied e r , die ihn m it etwas grollender Bewunderung behandelten »Du hast vielleicht Nerven«, sagte Andrea, die Darstellerin der Magdalen S i bylle, als er sie fragte, o b sie ein Autogramm von ihm haben wolle -, e r zählten ih m , daß Jean-Pierre, anders als Dieter, kein Schweizer war. Er war als Alfred Bau m ann auf die W elt gekom m en, in Frank f urt, und hatte schon als Kind auf der Bühne gestanden, sogar als der erfolgreichste Kinderdarsteller des deutsc h sprachi g en Theaters. Nach seinem Stim m bruch studierte er eine Zeitlang in Paris Kunst, bis er zur Bühne zurückkehrte und sich in die Schweiz und Dieter G r edner gleichzeitig verliebte. Er wechselte den N a m en und erfand eine neue Vergangenheit für sich, aber seinem Naturell entsprechend w urde er n i c h t irgen d ein Schweizer, sondern der letzte Abköm m li n g einer alten Hugenottenfa m ilie aus dem Veltlin. Nach diesen Auskünften begriff Robert, warum ihn Jean-Pierre ein wenig an Carla eri n nerte. Es w a r das alte Gefühl der Rivalität unter W underkindern.
Doch bei Carla wäre es ihm nie in den Sinn gekom m en, zu versuchen, sie d u rch Char m e zu entwaff n en. Dazu kannten sie ei n ander zu lange und zu gut. Aber es erwies s i ch für
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