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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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ihn als unwiderstehlich, es bei Dieter und Jean-Pierre zu probieren.
    » W arum spielst du ei ge ntlich nicht den Süß ? « fragte er Jean-Pierre nach einer der erschöpfenden Durchgänge von Karl Alexanders Wutausbrüchen, die nie m onoton w e rden durften, unschuldig. »Ich m eine, Dieter ist b rilla n t , aber Feuchtwanger beschreibt ihn doch als sehr gutaussehend.«
    Jean-Pi e rre warf ihm unter h a lbgeschlossenen Augen einen undeutbaren Blick zu. »Danke, aber ich habe in dieser Saison den H a m let v o r m ir. Außerde m , m ein lieber Robert, gäben wir beide keinen ange m essenen Kontrast zueinander ab, und das ist bei… diesem Stück unumgänglich.«
    »Denk daran«, sagte Dieter bei e i ner Ense m bleprobe, »du spielst einen Mann, der m i ndestens dreißig Jahre älter i s t als du, also reduziere die Agilität noch etwas, und spar sie dir für die Vergewaltigungsszene auf.«
    »Aber ich dachte, Süß ist gerade von dem agilen Gehabe des Herzogs fasziniert«, protestierte Robert und setzte absichtlich zweideutig hinzu: »Du nicht ? «
    »Ich würde m ich an deiner Stelle darauf beschränken, m it Andrea zu flirten, und das nicht bei Dieter und Jean-Pierre versuchen«, kom m entierte Heiner F r isch, der Weißensee spielte und in dessen Wohnung man ihn untergebracht hatte. »Falls einer von beiden reagiert, frißt der andere dich bei lebendigem Leibe.«
    Robert tat so, als verstünde er n i cht, wovon Frisch redete. In der Tat blieb di e Haltung d er b e iden L eit e r d e s Theater 22 ihm gegenüber die z w eier strenger Lehrer, auch wenn sie durchblicken ließen, daß sie ihn amüsant fanden. Ganz unabhängig von dem unausgesprochenen Machtka m pf w a r er aufrichtig dankbar f ür das, was sie ihm beibrachten, denn es ging über Sch a uspieltechnik weit hinaus. E r hatte noch nie von Edward Gordon Craig oder Stanislawski gehört, bis Dieter ihm von beiden erzähl t e, und es war faszinierend, Jean-Pierre und Dieter dabei zu erl e ben, wie sie über eine U m setzung von Craigs Ideen diskutierten.
    »Der Naturalis m us ist schon läng s t tot«, sagte Jean-Pierre, »nur hier in d er Schweiz n o ch nic h t. Dabei hat es überhaupt keinen Sinn, dem Publikum vorzumachen, es sähe das reale Abbild des Lebens. Das ist etwas für den Film. Bühne lebt von Sti m mung, von Illusion. Eine einzige Laterne und etwas geschickte Beleuchtung, das ist eine bessere Straße als Dutzende von hölzernen Randsteinpflastern. Für den Hamlet möchte ich wirklich versuchen, Craigs Zeichnungen zu verwenden. Keine Pseudogotik, sondern einen zentralen Aufgang und ansonsten Säulen im Hinte r grund, die ein D r eieck abgeben. Nur im Hintergrund.«
    »Alles gut und schön, aber wohin soll der G eist verschwinden? Wenn das Publikum s i eht, wie die Klapptür aufgeht, ist die Sti m mung hin. Und irgendwie glaube ich nicht, daß du beabsichtigst, einen expressionistischen H a m l et abzugeben. W ir können keinen Stilbruch zwischen Schauspielern und Bühnenbild haben.«
    Wenn er Dieter und Jean-Pierre so zuhörte, in ihrem Lieblingsrestaura n t , wo Jean-Pierre ihm zeigte, wie m an korrekt Austern aß, fühlte er sich zufrieden und glücklich, wenn auch etwas erschöpft, und e m pfand sehr viel Z uneigung für sie. Dennoch konnte er es nicht lassen, gelegentlich den Versuch zu m achen, ihre souveräne Überlegenheit zu erschüttern.
    Die dritte P erson, die er während seines Züricher Herbstes gründlich kennenlernte, war K arl A lexander, Herzog von W ürttemberg. Er hatte s i ch b ei sei n en Schulth e at e rerfolgen nie die Mühe ge m acht, lange über seine Rollen nachzud e nken. Sowie er eine Vorstellung von der Rolle hatte, spielte er s i e. Einen vergnügungssüchtigen, brutalen Macht m enschen zu verkörp e rn war ihm nicht weiter schwer erschienen. Süß war der ko m plizier t e Charakter in dem Stück und in dem Ro m an, den ihm Dieter sofort in die Hand gedrückt hatte, derjenige, der sich von der m anipulieren d en Macht hinter dem Thron über den Rächer seiner Toc h ter zum jüd i schen Märt y rer wandelte. Aber Dieter wur d e nic h t m üde, m it i h m Szenen durchzuspielen, die überhaupt nicht in dem Stück standen und die er aus dem Roman hatte, um d e m He r zog, wie er sagte, »Hintergrund zu verleihen.«
    Als Jean-Pierre ihn fragte, wie er sich Karl Alexander heute vorstellen wü r de, antwortete Robe r t: »Als Fabrikbesitzer, der seinem Geschäftsführer die Arbeit überläßt.«
    Noch während er sprach, sah

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