Unter Den Augen Tzulans
einzelnen Hieb mit Spannung. Dann zerschlug der rasende Herrscher Keile und Streben, warf Stützen um und ließ Baugerüste somit in sich zusammenbrechen. Endlich war es vollbracht. Erschöpft stand er etwa zwanzig Schritte von den beiden Männern entfernt, über denen sich die Steinmassen ohne Absicherung drohend türmten.
Nichts geschah.
Zwar knirschte es, vereinzelt bröckelte etwas Kalkabrieb herab, aber die Mauern stürzten nicht zusammen. Der Obere sandte Lodrik einen Blick, der alle Verachtung und alle Siegessicherheit gegenüber dem jungen Mann ausdrückte. Dann sank er auf die Knie und stimmte einen lauten Lobgesang zu Ehren Ulldrael des Gerechten an. Der Mann an seiner Seite tat es ihm nach. Beim ersten Ton, der ihnen über die Lippen kam, geschah es.
Die Erde geriet in Aufruhr, ein dumpfes Rumpeln drang von unten herauf. Haarfeine Risse entstanden im Marmor rings um die singenden Männer. Der Obere blieb ruhig, beendete das Loblied nicht, doch der Geheime Rat sprang mit nacktem Entsetzen im Gesicht auf und wollte sich aus dem offensichtlichen Gefahrenbereich in Sicherheit bringen. Er kam nicht weit. Die Brüche im Gestein verbreiterten sich, knirschend senkten sich die Platten wie marmorierte Eisschollen Unterschiedlich tief ab.
Der Untergrund brach vollständig zusammen, die Trümmerstücke der alten Kathedrale, die unter dem Marmor den Sockel des neuen Gebäudes bildeten, fielen in ein schwarzes Loch, rissen in einem Durchmesser von fast zwanzig Schritt alles mit sich in die Tiefe. Schreiend verschwanden die Männer, die sich im Mittelpunkt befanden, in der Dunkelheit.
Dann war es ruhig, nur vereinzelte Brocken fielen in die scheinbar bodenlose Schwärze, die sich geöffnet hatte.
Lodrik, dessen Füße nur eine Handbreit vom Rand des Kraters entfernt waren, hörte ein Zischen aus der Finsternis unter sich. Der Obere schrie noch einmal auf, unmenschlich drang sein qualvolles, lang gezogenes Rufen aus weiter Ferne heraus.
Der Kabcar wusste sehr wohl, wem er das Gottesurteil zu seinen Gunsten verdankte. Und eigentlich hatte er sogar damit gerechnet. Ein zufriedenes Lächeln entstand auf seinem Gesicht. Ich danke dir, Tzulan. Mit erhobenen Armen wandte er sich dem staunenden Volk am Eingang der entstehenden Kathedrale zu, doch bevor er etwas zum Ausgang sagen konnte, stürzte die Kuppel über ihm zusammen.
Der junge Herrscher verschwand, die Arme schützend über den Kopf erhoben, in einer grauen Wolke aus Gesteinsstaub, die es den Menschen unmöglich machte, die weiteren Ereignisse zu verfolgen.
Starr vor Erschütterung standen die Ulsarer am Eingang und blickten auf die graue Wand aus Staub, in der Hoffnung, ein Lebenszeichen zu sehen.
Zusammen mit den Soldaten rannte Mortva zu der Unglücksstelle, um unter den Trümmern nach dem Kabcar zu suchen. Die Menschen liefen ebenfalls los, um zu sehen, ob ihr Herrscher diese Tonnen von Gestein überlebt hatte. Bevor die vielen Helfer angekommen waren, lichtete sich der graue Dreckschleier und gab den Blick frei.
Lodrik stand inmitten eines Kreises von drei Schritt Durchmesser, in dem kein einziger Stein lag. Dagegen häuften sich um ihn herum die massiven Quader, mit denen die Arbeiter die Kuppel errichtet hatten. Als habe eine unsichtbare Barriere ihn vor dem vernichtenden steinernen Regen beschützt, zeigte sein Körper nicht einen Hinweis auf einen Treffer. Selbst die Uniform erschien makellos rein, als hätte er sich nicht mitten in den Schwaden aus Dreck und Gesteinsmehl befunden. Die Augen des jungen Mannes leuchteten blau wie Smaragde, sein Körper strahlte unverkennbar große Hitze ab, durch die Kleidung hindurch dampfte er in der kalten Luft. Der Kopf lag im Nacken, als würde er nach den Sternen schauen, die Arme hingen an den Seiten herab, die geöffneten Handflächen deuteten nach oben.
Wie in Trance senkte er das Haupt und schien erst allmählich seine Umgebung wahrzunehmen.
»Ulldrael«, sagte er leicht abwesend, »hat die Verräter doppelt bestraft, indem er die Erde sie verschlingen und die Mauern über ihnen einstürzen ließ. Doch mich bewahrte er.« Er wandte den Blick langsam nach rechts und links, wo sich die Quader wie übergroße hingeworfene Bauklötze mehrere Meter hoch türmten. Vorsichtig berührte er sie, um zu begreifen, dass sie ihn nicht unter sich begruben. »Mich bewahrte er«, schrie er in einer Entladung der Gefühle seine Genugtuung heraus. »Ich bin nicht das Böse!«
Die Menschen fielen auf die Knie.
Als wäre
Weitere Kostenlose Bücher