Unter den Linden Nummer Eins
muß hier raus«, sagte Vera. »Hast du noch Zigaretten?«
Auch in der Halle lagen jetzt überall Verletzte und Sterbende. Sanitäter versorgten sie mit Wasser. Viel mehr konnten sie nicht tun.
Ein Arzt rief Vera zu sich. Er wechselte einem wimmernden Hitlerjungen den Kopfverband. »Auf der Ost-West-Achse sind zwei Jus gelandet, die noch welche ausfliegen wollen. Der Zoo-Bunker hat versprochen, einen Krankenwagen herzuschicken, um wenigstens die Kinder abzuholen. Ist da«, er machte eine Kopfbewegung zur Adlon -Bar, »noch jemand, bei dem es sich lohnt?«
Vera schüttelte den Kopf. »Von denen überlebt niemand die nächste Stunde.«
Karl und Vera standen in der Stahltür und rauchten. Der Krankenwagen kam nicht, dafür erschien ein Motorrad mit Beiwagen. Der Beifahrer sprang ab. Er trug eine unförmige Fliegerjacke und eine dunkelgetönte Schutzbrille. Burmeisters Türwache ging mit der MP im Anschlag auf ihn zu. Der Luftwaffenoffizier, ein Oberst, herrschte ihn barsch an und gab ihm ein Schriftstück. Der Gestapomann salutierte und rannte an Karl und Vera vorbei zum Rezeptionstelefon. Der Fahrer lenkte das Motorrad dichter an die Schutzmauer.
Der Oberst nahm die Brille ab. Er sah Karl und Vera in der Türöffnung und starrte sie an, als sehe er Phantome. Karl und Vera verharrten reglos: Vera hielt ihre Zigarette zwischen den Lippen, Karl war gerade dabei, seine zum Mund zu führen.
Dann fielen sie sich mit einem Aufschrei in die Arme und redeten alle gleichzeitig.
Karl fand als erster die Fassung wieder. »Ja bist du denn wahnsinnig, Hajo!«
»Vermutlich. Ich soll einen verwundeten General der Waffen-SS hier abholen. – Ich steh mit einer Ente am Großen Stern.«
»Die Dinger fliegen noch?«
»Was Besseres gab’s nicht.«
»Ein SS-General, sagst du?« Vera schüttelte den Kopf. »Hier im Lazarett ist keiner. – Hast du die Jus gesehen, die die Verwundeten ausfliegen sollen? Stimmt es, daß sie auf der Ost-West-Achse gelandet sind?«
»Ja, aber sie sind schon wieder weg. Sie sind mir über der Havel begegnet. – Dieser SS-General, wieso soll ich ihn hier abholen, wenn …«
Der Gestapomann kam von der Rezeption zurück. »Herr Oberst! General Lehmann wird in wenigen Minuten eintreffen.« Er bezog wieder an der Tür Posten.
Sie gingen in die Halle. Das Gestöhne und Wimmern der Verletzten war entsetzlich. »Laß uns nach vorne zurück, bis er da ist«, bat Hajo.
»Man wird ihn durch die Gänge herschaffen«, sagte Karl. »Unten im Bunker gibt es Tunnels nach fast überallhin.«
Zwei Männer von Hitlers Leibwache in Begleitung von Burmeister stützten den General, als er durch die Drehtür kam. Einer hielt eine Infusionsflasche. Sie setzten ihn auf ein Sofa und gingen wortlos wieder mit Burmeister in die Lobby. Die Infusionsflasche rollte auf den Teppich. Der General machte noch eine reflexartige Bewegung, sie zu greifen, dann sackte er in sich zusammen. Dem General fehlten beide Hände. Vera hob die Flasche auf.
»Ja wie, verdammt noch mal, soll ich denn den in diesem Zustand …«
»Nimm Vera mit«, sagte Karl. »Ohne ihre Hilfe krepiert er, bevor ihr am Flugzeug seid.«
Vera beobachtete den Tropf. »Nein«, sagte sie. »Ich bleibe!«
Hajos Fahrer stürzte an der Gestapowache vorbei. »Schnell, Herr Oberst! Sie schießen mit schweren Mörsern!«
»Flieg mit Hajo«, sagte Karl. »Bitte!«
»Nein«, sagte Vera. »Was wird aus dem Jungen?«
»Ich weiß nicht, wovon ihr gerade redet, aber Karl hat recht!« Hajo und der Fahrer griffen dem General unter die Achseln und hoben ihn hoch.
»Bitte, Vera! Um den Jungen kümmere ich mich. Sowie der erste Rotarmist hier eintrifft, erkläre ich, wer er ist. Ihm wird nichts passieren. Soviel Russisch kann ich. Das verspreche ich dir.« Karl umarmte Vera und sagte zärtlich: »Bitte, Vera, flieg mit Hajo!«
Der Fahrer drängelte: »Herr Oberst, wenn das Feuer dichter fällt, kommen wir nicht mehr weg.«
»Vera!« schrie Hajo. »Das ist jetzt eine Bitte und ein Befehl. Du kommst mit!«
Das Motorrad umfuhr die Granatentrichter im Slalomkurs. Vera saß hinter dem General im Beiwagen, hielt die Infusionsflasche hoch.
Richard stellte sich neben Karl. »Wo fährt sie hin?«
Karl legte den Arm um den Jungen und drückte ihn an sich.
13.
K OMMISSARIN R ITA
Die Gestapowachen in der Vorhalle waren weg. Die Stahltür stand offen. Der Pariser Platz war menschenleer. Karl wagte einen Schritt nach draußen. Vor dem Brandenburger Tor hatten sich zwei Panzer
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