Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
Vom Netzwerk:
ich ganz vergessen. Ich habe meinen Wagen gar nicht, er ist in der Reparatur.«
    »Ein Wunder, dass die alte Klapperkiste überhaupt noch fährt. Hm, was machen wir nun? Soll ich ein Taxi nehmen und dich abholen? Das wäre von der Strecke her das Günstigste.«
    »Ja, Schatz, tu das. Dann bleiben mir noch ein paar Minuten, in denen ich mich frisch machen kann.«
    »Du klingst nicht, als hättest du große Lust auf dieses Treffen.«
    »Habe ich, offen gestanden, auch nicht. Ich bin wirklich erschöpft«, antwortete Henrique ehrlich. Am liebsten hätte er noch hinzugefügt: »Und dieser portugiesische Wichtigtuer wird mir den letzten Nerv rauben«, doch er hielt sich zurück. Er wusste, dass die Frau des Portugiesen eine alte Freundin von Ana Carolina war und die beiden sich gern sehen würden. Abends war das ohne männliche Begleitung jedoch nicht ratsam. Er musste mitgehen, ob er wollte oder nicht.
    »Schön. Ich bin dann in rund einer Viertelstunde bei dir. Bis gleich«, sagte Ana Carolina und legte auf, ohne noch auf seinen Abschiedsgruß zu warten.
    Es verging dann doch etwas mehr Zeit, bevor Ana Carolina bei ihm ankam. Sie hatte kein Taxi genommen, sondern das vornehme Automobil ihrer Eltern. Sogar die Hupe, mit der sie sich ankündigte und ihn herunterrief, klang edler als bei seinem eigenen Auto.
    »Hast du dir den Wagen wieder heimlich ausgeliehen?«, fragte er mit tadelnder Miene.
    »Henrique, hör auf, dich wie ein Lehrer zu benehmen. Nein, ich habe ihn mir nicht heimlich ausgeliehen. Aus irgendeinem mir unbekannten Grund hat mein Vater mir erlaubt, das Auto zu nehmen.« Ganz so unbekannt war ihr der Grund nicht. Sie konnte sich schon denken, was diese Großzügigkeit ausgelöst hatte. Nach ihrem Gespräch im Botanischen Garten schien ihr Vater ihr jede nur erdenkliche Freude bereiten zu wollen. Vielleicht glaubte er, sie auf diese Weise von ihrem Dilemma ablenken zu können.
    »Wie nett von ihm«, sagte Henrique ohne die geringste Spur von Spott oder Ironie.
    »Ja. So, komm jetzt. Ich hoffe, die beiden sind noch da und warten auf uns.«
    »Bestimmt sind sie das. Sie kennen dich doch.«
    Ana Carolina lachte. »Eine Dreiviertelstunde Verspätung ist doch so gut wie pünktlich, oder?«
    Henrique fiel in ihr Lachen mit ein. Bei ihr – wenn auch bei niemandem sonst – fand er den lockeren Umgang mit der Zeit anderer Leute geradezu entzückend.
    Während der Fahrt wechselten sie kein Wort mehr, denn Henrique hatte Angst und klammerte sich am Sitz fest. Ana Carolinas Fahrweise war halsbrecherisch, aber wenn er sie kritisierte, würde sie ihn nur wieder für seine Schreckhaftigkeit auslachen. Er musste diese Höllenfahrt irgendwie ertragen, mannhaft und schweigend.
    Als sie schließlich in dem Lokal ankamen, waren Isabel und Joaquim im Begriff zu gehen. Joaquim half seiner jungen Frau gerade in den Mantel. Mäntel!, dachte Henrique, das war auch so eine Unsitte der feinen Leute. Beim geringsten Anzeichen von kühlerer Luft holten sie Mäntel und Pelzstolas heraus, legten sich Schals um und vermummten sich, als herrschten arktische Temperaturen. Heute Nacht waren es vielleicht 20  Grad, kühl für Rio, aber noch weit davon entfernt, solche Kleidung zu rechtfertigen. Ana Carolina hatte ihm das einmal damit erklärt, dass niedrigere Temperaturen mehr Spielraum für elegante Accessoires erlaubten, Handschuhe, Halstücher, Seidenstrümpfe und Bolerojäckchen, all die Dinge also, mit denen die Damen sich gern schmückten, die sie aber bei 40  Grad im Schatten nicht tragen konnten. Die Cariocas waren versessen auf warme Kleidung.
    Es gab ein großes Hallo mit Küsschen und Schulterklopfen. Dann gingen sie zu dem Tisch, den Isabel und Joaquim eben verlassen hatten und den ein Kellner gerade abräumte. Mürrisch steckte der Mann den Vintém ein, den die Gäste für ihn liegen gelassen hatten – ein sehr dürftiges Trinkgeld. Ana Carolina zwinkerte Henrique verschwörerisch zu. Auch sie hatte den Geiz ihrer Freunde bemerkt. Über diesen Punkt hatten Ana Carolina und Henrique sich schon ein paarmal unterhalten, und sie waren sich nicht nur darin einig, dass Geiz verabscheuungswürdig war, sondern auch darin, dass magere Trinkgelder sich immer rächten.
    Und so war es auch jetzt. Der Kellner fragte mit unverhohlenem Desinteresse, das an Unhöflichkeit grenzte, nach ihren Getränkewünschen, und er war kaum freundlicher, als er die Drinks wenig später servierte.
    Isabel und Joaquim nahmen es nicht zur Kenntnis. Sie

Weitere Kostenlose Bücher