Unter den Sternen von Rio
ihm indes stark ausgeprägt war, war sein Gerechtigkeitssinn. Er konnte es nicht mit ansehen, wie Bel sich von Pereira ausnehmen ließ. »Mir will einfach nicht in den Kopf, wie du so ehrgeizig sein kannst, so willensstark und kämpferisch, und wie du dann gleichzeitig so gutgläubig bist, sobald es um knallharte Zahlen geht.«
»Ach, und du verstehst mehr davon? Augusto, der Laufbursche, der in Wahrheit ein Zahlengenie ist? Pah!«
»Seit wann lässt du dich so von Äußerlichkeiten blenden? Nur weil ich keinen feinen Anzug trage, muss ich doch nicht dumm sein.«
»Wenn man dich so hört, könnte man es aber glauben.«
»Bel, ich finde nur, du solltest bekommen, was dir zusteht, nicht mehr, nicht weniger. Wenn also Pereira, als dein Impresario oder wie immer man ihn nennen will, 30 Prozent von deinen Einnahmen erhält, von mir aus. Und zwar nach Abzug seiner Kosten und seiner Arbeit als Produzent. Ich spreche hier einzig und allein von deinen Tantiemen und seiner Arbeit als Agent. Ich denke, da sind 30 Prozent der übliche Satz, obwohl ich es nicht beschwören kann. Er aber behält, ohne mit der Wimper zu zucken, mehr als 90 Prozent ein. Das ist nicht in Ordnung.«
Bel sah ihn herablassend an, doch Augusto erkannte hinter diesem aufgesetzten Blick ihre Unsicherheit. Sie konnte nicht gut rechnen, so viel war klar. Sie wusste wahrscheinlich nicht einmal, was es mit den 30 oder 90 Prozent auf sich hatte. Vielleicht sollte er ihr es an einem Beispiel verdeutlichen, das auch sie verstehen würde.
»Pass auf. Dir stehen sieben Stücke vom Kuchen zu. Pereira stehen drei zu. Er nimmt sich aber einfach neun Stücke, denn er glaubt, dass du es nicht merkst, weil du von dem restlichen Stück ja satt wirst.«
»Sprich nicht mit mir wie mit einem kleinen Schulmädchen«, fuhr sie ihn an. »Na schön, er nimmt sich also vielleicht mehr, als ihm zusteht. Aber wer sagt dir denn, dass er dieses Geld nicht sinnvoll einsetzt? Um bei deinem Bild zu bleiben: Womöglich muss er einfach auch mehr Kuchen essen, um etwas zu leisten.«
»Er ist ein Vielfraß, sonst gar nichts. Er hat sich sogar deine Idee einverleibt, die mit dem Früchte-Hut. Er rennt in der Gegend herum und behauptet, er habe diese Inspiration gehabt, als er ein hübsches Mädchen aus Bahia an einem Marktstand gesehen hätte. Die kaffeebraune Haut, die exotische Kleidung und der akkurat aufgetürmte Berg aus Früchten habe in ihm den Wunsch ausgelöst, diese schönen Brasilien-Impressionen in die Welt hinauszutragen.«
»Wo hast du das denn her?«
»Es stand in der Zeitung.«
»Du kannst lesen?«, entfuhr es Bel. Ein Blick auf sein beleidigtes Gesicht genügte, um ihr zu sagen, dass er es wahrscheinlich mindestens so gut konnte wie sie. »Tut mir leid, es war nicht so gemeint.«
»Natürlich war es das.«
»Aber warum … warum gibst du dich dümmer, als du bist? Wenn du lesen kannst und rechnen und wer weiß was noch alles, warum machst du dann eine Arbeit, die jeder Analphabet tun könnte?«
»Weißt du eine? Kennst du eine freie Stelle, wo man einen wie mich einstellen würde, und zwar nicht, um Fische einzuwickeln oder Kaffeesäcke zu schleppen, sondern um einer anspruchsvollen oder wenigstens amüsanten Tätigkeit nachzugehen? Meine Arbeit beim Film mag ja simpel sein, aber immerhin ist sie unterhaltsam. Meistens jedenfalls.«
»Was soll das heißen, einer wie du? Was ist denn mit dir?«, fragte Bel nach.
»Ich bin schwarz, schon vergessen?«, sagte er bitter.
»Na und? Ich doch auch.«
»Du bist eine Frau, das ist etwas ganz anderes. Und du bist sehr hübsch, daraus lässt sich ja sogar bei uns
crioulos
Kapital schlagen. Aber in einem jungen schwarzen Burschen wie mir, mit durchschnittlichem Äußeren, sehen die Leute immer erst mal einen dummen Lümmel, wenn nicht gar einen Dieb oder Schlimmeres.«
»Das ist doch kompletter Unsinn! Ich kenne dunkelhäutige Ärzte, Anwälte und Ingenieure. Mein eigener Vater, dessen Haut so dunkel ist wie deine, ist ein sehr erfolgreicher Unternehmer.«
»Das ist was anderes.«
»Aber wieso denn? Mein Großvater war sogar noch ein Sklave. Mein Vater hatte also kaum bessere Startbedingungen als du. Wer etwas kann und etwas will, der muss sich nur ein bisschen anstrengen, dann kann er es auch bekommen. Was dagegen überhaupt nichts bringt, ist jammern.«
»Ich jammere doch gar nicht.«
»Doch, tust du. Dabei hast du viel weniger Grund dazu als ich.«
»Inwiefern? Du wirst doch gerade zu einem Star
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