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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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sich jetzt etwa zu fein für ihre Leute? Außerdem: Was sollten die Nachbarn denken? Wäre es nicht eine nette Geste gewesen, wenigstens am Sonntag einmal zum Essen zu kommen, die alten Nachbarn aus dem Viertel zu begrüßen und wie eine richtige Berühmtheit Autogramme zu verteilen? Was konnte daran so schlecht sein? Es musste doch auch in Bels Interesse liegen, sich das Wohlwollen ihrer Anhänger zu sichern.
    Was Neusa jedoch am meisten in Rage versetzte, war der Umstand, dass Felipe sich die Schellackplatte von Bel hatte kaufen müssen. Warum hatte sie ihm keine geschenkt? Was waren das für Zeiten, in denen eine Tochter sogar den eigenen Vater für Dinge zahlen ließ, die sie selber umsonst bekam? Waren nicht sie, die Eltern, es, die Bels Erfolg erst ermöglicht hatten? Was wäre das Mädchen ohne seinen Vater? Und was ohne sie, die liebende Mutter?
    Trotzdem war sie froh, dass sie die Platte besaßen. Immer wenn sie lief, hörte ihr jüngster Sohn auf zu schreien. Das war so erholsam, dass Neusa die Platte gern von morgens bis abends abgespielt hätte, nur um endlich einmal Ruhe vor dem kleinen Quälgeist zu haben.
     
    Bel wusste von diesem Gefühlsaufruhr nichts und wollte auch nichts davon wissen. Sie hatte alle Hände voll mit sich selber zu tun, für die Befindlichkeiten ihrer Eltern hatte sie absolut keinen Sinn. Dennoch wäre sie wahrscheinlich gekränkt gewesen, wenn sie gewusst hätte, wie schlecht ihre Mutter von ihr dachte. Denn Bel traf keine Schuld. Sie hatte von den Schallplatten genau ein Exemplar für sich selbst ergattert, alle anderen gingen in den Handel. Man hatte die erste Auflage zu vorsichtig kalkuliert, das heißt, es gab zu wenig Platten. Die Mitarbeiter, denen eine gewisse Menge an Freiexemplaren zustand, mussten sich noch gedulden. Der Verkauf ging vor.
    Dass sie nie ihr altes Viertel besuchte, hatte ebenfalls gute Gründe: Bel hatte schlichtweg keine Zeit. Sie arbeitete praktisch rund um die Uhr, auch an den Wochenenden. Jeden Freitag und Samstag trat sie in dem exklusivsten
café-teatro
Rios auf, sang dort bis tief in die Nacht hinein und ließ sich vom Publikum feiern. Sonntags gönnte sie es sich, auszuschlafen. Wenn sie dann gegen Mittag erwachte, blieben ihr gute vier Stunden, bevor sie sich mit den Musikern traf, um ihr nächstes Lied zu proben – Senhor Pereira wollte schnell die nächste Platte auf den Markt bringen. In diesen vier Stunden widmete sie sich intensiv ihrer Schönheit, auch das Teil ihrer Arbeit. Als Radiostar musste man vielleicht nicht gut aussehen, auf der Bühne hingegen sehr wohl. Beatriz, mit der sie sich wieder vertragen hatte, half ihr bei Maniküre und Pediküre, trug Bleichcremes auf Bels Haut und glättende Chemikalien auf ihr Haar auf, zupfte ihre Augenbrauen und enthaarte Beine und Arme. All das musste getan werden, und es passte eben nur sonntags. Dass ihre Familie ihr das übelnehmen würde, ja sie sogar der Arroganz bezichtigte, hätte sie sich in ihren wildesten Träumen nicht vorstellen können.
    Einzig die Kritik Augustos kam bei ihr an.
    »Du musst dir auch mal einen freien Tag gönnen«, riet er ihr.
    »Wofür? Ich fühle mich nicht müde. Ich kann mich den ganzen Tag auf die faule Haut legen, wenn ich alt und fett bin.«
    »Wenn du in dem Tempo weitermachst, wirst du nicht alt.«
    »Aber wenn ich nicht in dem Tempo weitermache, werde ich auch nie reich und berühmt.«
    »Ist es das, was du willst?«, fragte Augusto. »Ich meine, das, was du
wirklich
willst?«
    Sie schaute ihren Freund verständnislos an. »Aber ja. Was sonst? Will das denn nicht jeder?«
    »
Ich
will glücklich sein«, sagte er. »Gesundheit, Liebe, Familie – das ist es, was ich mir wünsche.«
    »Soso.« Menschen, die sich keine hohen Ziele steckten, langweilten Bel schnell. Und dieses Kleinbürgerglück, das Augusto da beschrieb, hielt sie für
kein
hohes Ziel. Das hatte sie ja alles längst. Gesundheit, Liebe, Familie? Pah! Öder ging es ja kaum noch.
    »Du hast es so gut«, meinte er. »Dein Vater ist ein wunderbarer Mensch. Er liebt dich sehr, und ich bin sicher, deine Mutter tut es ebenfalls. Warum lässt du dich nie bei ihnen blicken?«
    »Wann sollte ich das denn deiner Meinung nach tun? Die einzige freie Zeit, die ich habe, ist in der Woche nachts nach elf. Wohl kaum eine angemessene Uhrzeit für Familienbesuche. Im Übrigen können sie ja auch mich besuchen, wenn sie mich unbedingt sehen wollen.«
    »Du bist hartherzig.«
    »Und du bist rührselig.« Das,

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