Unter den Sternen von Rio
aufgebaut.«
»Also doch! Augusto, vor zwei Minuten hast du mir noch damit in den Ohren gelegen, ich müsse mehr Geld verlangen, weil mir mehr zusteht. Jetzt beklagst du dich, weil es dir angeblich schlechter ergeht als mir. Wirst du dich mal entscheiden, ob du nun Mitleid mit mir haben willst oder ob du mich beneidest?«
»Na ja«, murmelte Augusto ein wenig kleinlaut.
Aber Bel war jetzt richtig in Fahrt. »Wirst du etwa bestohlen? Von deinem eigenen
patrão?
Da siehst du’s. Mir klaut Pereira die geniale Nummer mit dem tropischen Früchtemädchen mit dem Obstturm auf dem Kopf, die ganz allein meine Idee war und die meine Eintrittskarte in die große weite Welt sein sollte. Aber ich halte mich nicht mit Lamentieren auf. Ich mache das Beste daraus und überlege, wie ich mit Pereiras Hilfe trotzdem eine internationale Berühmtheit werde, Prozente hin oder her. Und eines verspreche ich dir: Ich werde die Säle in Europa zum Toben bringen.«
Jetzt war sie wieder, dachte Augusto mit einer gewissen Erleichterung, bei ihrem Lieblingsthema angelangt: sich selber. Ihm war es nur recht. Solange sie über sich sprach, sprach sie nicht über ihn. Er wollte ihre Kritik und ihren Rat nicht. Er war mit dem zufrieden, was er erreicht hatte, was deutlich mehr war als das, was die anderen Waisenkinder vorzuweisen hatten, die er noch von früher kannte. Ein Junge war als Hilfsgärtner bei der Präfektur angestellt und befreite Parkbänke von Taubendreck, ein überaus intelligentes Mädchen in seinem Alter hatte es zur Schwesternhelferin gebracht, die eitrige Verbände wechselte. Da sah man doch, wie ungerecht es in der Welt zuging: Wer nicht die richtige Hautfarbe hatte und wem es an Rückhalt aus der Familie fehlte, der hatte schlechte Karten, ganz gleich, wie klug oder fleißig er sein mochte. So war es nun mal. Bel hatte doch keine Ahnung, wie es in der Welt zuging. Sie hatte Glück gehabt und glaubte nun, jeder, dem es nicht so erging wie ihr, sei selber schuld.
Andererseits war es genau das, was er an ihr mochte: diesen unerschütterlichen Optimismus. Sie glaubte an sich, und je mehr sie das tat, desto mehr taten es auch andere. Vielleicht sollte er sich wirklich ein Beispiel an ihr nehmen und sich mehr auf seine Fähigkeiten und Talente konzentrieren. Nur: Welche sollten das sein? Er hatte weder eine ausgeprägte künstlerische Ader noch interessierte er sich besonders für die Naturwissenschaften, er war nicht übermäßig sportlich, noch glänzte er als Mathematikgenie, er sah nicht umwerfend aus, und er bezauberte niemanden mit seinem Charme. Er konnte vieles, aber nichts davon richtig gut.
»Was ist? Hat es dir die Sprache verschlagen?«, riss Bel ihn aus seinen Gedanken.
»Äh, nein, ich habe nur über etwas nachgedacht.«
»Ach so.« Solange es nichts mit ihrer Karriere zu tun hatte, interessierte es Bel nicht, worüber Augusto so nachdachte. Ihrer Meinung nach sollte er sowieso weniger denken und mehr machen. Allzu viel Gegrübel über die Ungerechtigkeit der Welt schadete nur.
»Soll ich uns unten aus dem
botequim
etwas zu essen holen? Sie haben köstliche
pastéis.
«
»Das«, erklärte Bel in feierlichem Ton, »ist das Vernünftigste, was du heute Abend von dir gegeben hast.«
18
D as Kleid gefiel Dona Vitória nicht.
Der Rock hätte viel bauschiger sein müssen, das Oberteil enger. Wie ein prachtvolles Ballkleid aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, so hätte es aussehen müssen, mit einer eng geschnürten Taille, einem offenherzigen Dekolleté und aus endlosen Metern weißer Seide gefertigt. Doch das, was Ana Carolina sich da in den Kopf gesetzt hatte, konnte man nur mit Müh und Not überhaupt als Hochzeitskleid erkennen, und das auch nur, weil es weiß war. Wobei ihre Tochter sogar in der Hinsicht unbedingt »modern« hatte sein müssen und kein reines Weiß, sondern ein helles Elfenbein ausgewählt hatte. Die Form des Kleides entsprach ganz der Mode der zwanziger Jahre. Es reichte bis zur Mitte der Waden, war schmal und gerade geschnitten, aber nicht eng anliegend. Ana Carolina behauptete, es »umspiele« den Körper, während ihre Mutter fand, dass es nur die schlanke Taille der Braut verbarg. Was waren das für Zeiten, wenn eine junge Frau nicht einmal bei ihrer Hochzeit aussehen durfte wie eine Märchenprinzessin?
Wenigstens war bei den Accessoires an nichts gespart worden. Ana Carolina würde zu dem ärmellosen Kleid lange seidene Handschuhe tragen sowie einen aufwendig bestickten
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