Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)
garantiert von Ihnen v erabreicht worden.“
„Sie verlieren allmählich die Übersicht“, rief Stefanie Burghausen. „Wie viele Morde oder Mordversuche wollen Sie mir denn noch anhängen?“
„Nur die, die Sie auch begangen haben“, schaltete sich Leng nun wieder ein. „Wir haben den Degen, den wir sorgfältig versteckt in Ihrer Wohnung gefunden haben, von unserem Rechtsmediziner untersuchen lassen. Die Blutspuren stammen eindeutig von Alexander Seamus“, behauptete er selbstsicher. „Wollen Sie uns noch immer nichts sagen?“
„Was soll ich Ihnen denn sagen? Sie scheinen ja ohnehin schon alles zu wissen.“
„Das ist nicht ganz zutreffend“, erklärte der Hauptkommissar. „Wir kennen das Wie aber nicht das Warum. Warum musste Alexander Seamus sterben?
„Weil er ein Schwein war. Genau so ein Schwein wie mein Vater“, schrie Stefa nie Burghausen, die ihre Selbstbeherrschung verlor und mit ihren Fäusten auf den Tisch trommelte.
„Wir möchten verstehen, was passiert ist“, sagte Leng so ruhig wie möglich. „Erzählen sie uns von sich.“
„Ich werde den Teufel tun“, gab sie den beiden Männern zu verstehen. So leicht bringen Sie mich nicht hinter Gitter. Und jetzt möchte ich meinen Anwalt anrufen.“
„Das steht Ihnen natürlich frei, aber der wird sie hier auch nicht rauspauken können. Alle Indizien sprechen gegen Sie, Sie haben für beide Morde kein Alibi, Sie haben die erforderlichen Kenntnisse, um Medikamente genau dosiert zu verabreichen, sodass sie wie Gifte wirken, und wir haben den Dolch mit dem Blut eines der Ermordeten in Ihrer Wohnung gefunden. Außerdem wissen wi r von den ständigen Auseinandersetzungen zwischen Ihnen und Ihrem Vater, der Sie schon als Kind immer vernachlässigt hat.“
Leng war sich der Wirkung seiner Worte nicht bewusst. Erst als er die Tränen in ihren Augen sah, wusste er, dass er einen wunden Punkt angerührt hatte. „Erzählen Sie uns von ihm“.
Sie saß wie paralysiert auf ihrem Stuhl und starrte die Wand an. Doch dann erzählte sie ihre Geschichte.
„An die ersten eineinhalb Jahre meiner Kindheit habe ich keine wirkliche Erinnerung. Es ist nicht so, dass ich mich nicht erinnern will, ich war einfach zu klein. Schon damals war ich auf meinen Vater fixiert. Meine Mutter kümmerte sich den ganzen Tag über um mich, weil sie die ersten Jahre nicht arbeitete; aber wenn mein Vater abends nach Hause kam, hatte sie keine Chance mehr. Ich saß auf seinem Schoß, himmelte ihn an und schrie, was das Zeug hielt, wenn ich ins Bett sollte, weil ich dann von ihm getrennt wurde. Er war ohnehin selten da, weil er damals im Krankenhaus arbeitete und ein geregelter Achtstundentag dort genauso ungewöhnlich ist wie im Praxisalltag. Manchmal, wenn er völlig übermüdet und erschöpft nach Hause kam, wollte er einfach nur seine Ruhe haben. Ein kleines Kind versteht so etwas natürlich nicht. Ich weiß nicht, wie oft er meine Mutter angefahren hat, endlich dafür zu sorgen, dass ich still bin. Immer, wenn er meine Mutter anschrie, war es für mich so, als ob er mich anschrie. Ich bewunderte ihn, aber gleichzeitig fing ich an, ihn zu fürchten.
Ich war beinahe zwei Jahre alt, da kam mein Bruder auf die Welt. Mein Vater hatte inzwischen seine eigene Praxis eröffnet, eine Erklärung dafür, dass wir ihn nun noch seltener zu Gesicht bekamen, und wenn er auftauchte, kümmerte er sich mehr um meinen Bruder, der sein ganzer Stolz war. Rückblickend habe ich mich oft gefragt, warum wir voller Verachtung auf Länder schauen, in denen, wie in China, Mädchen häufig direkt nach der Geburt getötet werden, weil die Ein-Kind-Politik zu einer Auslese führt, die männliche Nachkommen bevorzugt oder Indien, wo aufgrund neuer Techniken das Geschlecht früh bestimmt werden kann mit der fatalen Folge, dass weibliche Föten in großer Zahl abgetrieben werden. Auch bei uns gibt es noch immer diese Bevorzugung von Jungen. Kein Selbstständiger wird sich ein Mädchen wünschen, um ihr irgendwann sein Geschäft übergeben zu können. Er wünscht sich natürlich einen Jungen. Mädchen werden zwar toleriert, aber nur Jungen lösen diesen Vaterstolz aus.“
Prado hätte dieser eingeschränkten Sicht der Dinge gerne seine Einstellung gegenüber gestellt, aber er befürchtete, Stefanie Burghausens Redefluss dann endgültig zu stoppen. Also ließ er sie weiterreden.
„Ich fing wieder an, das Bett zu nässen, obwohl ich relativ früh trocken war. Damit zog ich den Zorn meiner Mutter auf
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