Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)
sich alle möglichen Arzneimittel zu besorgen; sie kennt auch ihre Wirkungsweisen und kann die Folgen der jeweiligen Dosierung absehen. Im Körper von Walter Burghausen konnte die Rechtsmedizin ein Barbiturat nachweisen, für das es bisher keine Erklärung gibt. Laut Aussagen seiner Kollegen und Mitarbeiterinnen war er nicht der Typ, der allzu leichtfertig zu Schlaf- oder Beruhigungsmitteln griff. Es ist nicht einmal bekannt, ob er sie überhaupt benötigte.
Wie ich heute Morgen erfahren habe, hat die Blutunter-suchung der gestern verunglückten Ehefrau des Ermordeten eine hohe Dosis von Ephedrin ergeben, einer Substanz, die früher in Tabletten enthalten war, die in den USA an jeder Tankstelle als Wachmacher für müde Autofahrer verkauft wurden. Aufgrund seiner Appetit hemmenden und Leistung steigernden Eigenschaften wurde Ephedrin auch zum Doping eingesetzt. Es wurde früher erfolgreich gegen asthmatische Anfälle und starken Schnupfen verabreicht, gilt aber als bedenklich und wurde durch andere Arzneistoffe verdrängt. Die Wirkstoffe finden aber heute noch Gebrauch bei Hypotonie und Kreislaufschwäche. Eine Überdosierung führt zu Übelkeit, Angst, Pulsrasen, Atemschwier igkeiten, Verwirrtheit und Halluzinationen. Dr. Sand hat uns außerdem bestätigt, dass die Stichwunde durch die Alexander Seamus getötet wurde, mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Dolch oder Degen herrührt und so gezielt gesetzt wurde, dass der Tod augen-blicklich eingetreten sein muss. Das kann nur jemandem gelingen, der sich mit Stichwaffen auskennt. Das trifft ebenfalls auf Stefanie Burghausen zu, die über mehrere Jahre erfolg-reiche Teilnehmerin an Turnieren war und zweimal bei den Deutschen Degenmeisterschaften der Junioren, nämlich 1997 und 1998, einen dritten Rang belegte.“
„Was spricht denn dann dagegen, sie zu verhaften?“ fragte Breidenbach.
„Endgültige Beweise“, antwortete Leng. Die hatten sie in der Villa zwar gefunden, aber das konnte er hier nicht anbringen. Vor einer Stunde war er von Sand darüber informiert worden, dass sich tatsächlich winzige Blutspuren am unteren Ende des Degens befunden hatten, Blut, das durchaus aus der Wunde von Seamus stammen könnte. Allerdings benötigte Sand noch mindestens 24 Stunden zur Auswertung der DNA-Analyse. „Wir werden die des Mordes Verdächtige ins Präsidium bitten und sie einem eingehenden Verhör unterziehen. Sie wirkt zwar kalt und abweisend, aber vielleicht gelingt es uns ja doch, sie aus der Reserve zu locken.”
Widerwillig hatte Stefanie Burghausen einem Termin in den Räumen der Polizei zugestimmt, nachdem sie zuvor ihre kranke Mutter vorgeschoben hatte, die nun unbedingt ihre Hilfe und Unterstützung benötige. Erst der Vorschlag Lengs, er könne das Verhör selbstverständlich auch im Krankenhaus führen, brachte den gewünschten Erfolg.
Windkerk, den der Hauptkommissar sowohl von dem Ergebnis der Teambesprechung als auch von dem bevorstehenden Verhör in Kenntnis setzte, reagierte ungehalten, wagte es aber nicht, Lengs Einschätzung in Frage zu stellen, was angesichts der Beweislast auch äußerst lächerlich gewirkt hätte. „Ich hoffe dennoch, dass sich die Verdächtigungen als nichtig erweisen. Es handelt sich hier schließlich um eine angesehene Familie, die wir nicht einfach haltlosen Beschuldigungen aussetzen können. Gehen Sie behutsam vor. Ich möchte nicht, dass die Polizei in die Schlagzeilen gerät.“
„Was glaubt er denn, dass ich mit ihr mache?“ fragte sich Leng, nachdem er Windkerks Büro verlassen hatte: „Denkt er, ich würde sie mit dem Schlagstock bearbeiten oder ihr sämtliche Fingernägel ausreißen?“ Der Dezernatsleiter, so erinnerte sich Leng, hatte weitaus weniger Bedenken, wenn es um Einsätze gegen kurdische Minderheiten oder gewaltbereite Jugendliche ging. Bei einer angekündigten Demonstration gegen neuerliche Fahrprei serhöhungen der Kölner Verkehrsbetriebe, die von einem Polizeieinsatz begleitet wurde, hatte er einmal verlauten lassen, man solle diesem Schwarzfahrerpack auf die Köpfe schlagen.
Stefanie Burghausen fuhr mit ihrem schwarzen Mercedes-Cabriolet vor, das sie unerlaubterweise direkt vor dem Eingang parkte. Wenn sie schon hier zu erscheinen hatte, wollte sie nicht erst noch eine Wanderung hinter sich bringen müssen.
Sie kam in einem beigefarbenen Kostüm mit kurzem Rock und eng anliegender Jacke, deren Revers von einer auffälligen Brosche verziert wurde, die aussah wie eine Miniaturbratwurst mit
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