Unter Deutschen
besagter junger Mann eines Tages der Präsident der Vereinigten Staaten werden würde und dass ich als Leiter einer diplomatischen Vertretung sein bescheiden zu ihm aufblickender Diener wäre, hätte ich gedacht, entweder mein Gesprächspartner oder ich selbst habe den Verstand verloren. Als ich eines Tages, Jahre später, in meinem Belgrader Büro saß, erinnerte ich mich an diese Episode, und die Wahrheit dämmerte mir plötzlich und fürchterlich.«
Als am 23. August 1939 der Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion verkündet wird, schreibt der Journalist William Shirer in sein »Berlin Diary«: »Große Aufregung« – »Was für eine Wende« – »Jetzt sieht es nach Krieg aus.« Auf den Dächern werden Luftabwehrgeschütze in Stellung gebracht. Maschinen der Luftwaffe überfliegen die Hauptstadt. Einer oft wiederholten Anekdote zufolge soll der Chargé d’Affaires der US-Vertretung in Berlin, Alexander Kirk, dem jungen Jack Kennedy eine diplomatische Nachricht für dessen Vater, den Botschafter in London, anvertraut haben: Innerhalb einer Woche wird Deutschland losschlagen.
Kennedys Berichte aus dem Sommer 1939 entstanden unter dem Eindruck dieses spannungsvollen historischen Augenblicks. Zugleich jedoch beklagt er sich, mit charakteristischem Sarkasmus und immerhin auf dem Briefpapier des Berliner Hotels Excelsior, über das deutsche Essen (»one week of these German meals«), dessen Folgenihm bereits anzusehen seien. Die zynischen Scherze, die Erzählungen von Partys und Affären, die im Tagebuch 1937 breiten Raum eingenommen haben, finden sich auch am Vorabend des Weltkrieges wieder: Er habe, meldet Kennedy aus Warschau, »richtig viel Spaß«.
Als er in seinem Brief zur Lage von Danzig voraussagt, Polen könne die Stadt nicht an die Deutschen abtreten, weil diese sonst die Exportwege beherrschen würden, bedient der Korrespondent, ganz unvermittelt, das antisemitische Klischee vom jüdischen Händler. Die Deutschen, so formuliert er, könnten die »Judenkaufleute« (»Jew merchants«) zwingen, ihre Transporte über den verlorenen Hafen abzuwickeln.
Diese Wortwahl ist in Kennedys Zeugnissen eher auffällig, während sie in seinem Umfeld nichts allzu Ungewöhnliches wäre. So kommt sein älterer Bruder, der zur gleichen Zeit Europa bereist, in einem Brief an den Vater vom 10. Juni 1939 noch schroffer auf die Juden zu sprechen, deren Aufnahme in seiner Heimat er ablehnt. Joe jr. hängt entschiedener der Meinung an, dass sich die USA aus der europäischen Krise heraushalten sollten, und er distanziert sich dabei von der Politik seines Außenministers und seines Präsidenten:
»Ehe mich die Herren Hull und Roosevelt auffordern, da rüberzugehen und zu kämpfen, weil ein amerikanisches Schiff versenkt worden ist oder die Deutschen irgendeinen Touristen umgebracht haben, sollen sie mir folgende Fragen beantworten: Was wären ihrer Meinung nach die wirtschaftlichen und politischen Folgen, wenn Deutschland Europa beherrscht, nachdem es England und Frankreich fertiggemacht hat? Wie viel Handelsvolumen würden wir verlieren,wie stark würde es uns beeinträchtigen? [...] Wollen wir uns fürchterlich darüber aufregen, wie die Juden behandelt werden, wo doch Katholiken und andere in Russland und im republikanischen Spanien grausamer umgebracht wurden, ohne dass es ein Wort des Protests gegeben hat? Wollen wir, dass der Antisemitismus in unserem eigenen Land zunimmt, weil wir 40 000 Juden und politisch Unerwünschte aus Europa aufnehmen [...]?«
Joe jr. formuliert hier die väterliche Position der amerikanischen Abschottung, die den europäischen Diktaturen ihre Opfer überlässt – eine Haltung, von der sein jüngerer Bruder sich nach und nach ablöst: »Wollen wir für die Freiheiten der Menschen in aller Welt kämpfen, wo uns das wirklich verdammt nochmal nichts angeht, sondern nur die Menschen in diesen Ländern selbst? Wollen wir die Freiheit in jedem Land in der Welt gewährleisten, und wenn diese Freiheit nicht gegeben ist, wollen wir dann einmarschieren? Wollen wir Zeter und Mordio schreien, wenn die Italiener in Äthiopien und in Spanien eingreifen und die Deutschen in der Tschechoslowakei, und dann aber nichts dagegen unternehmen, als die Engländer Feiglinge zu schimpfen, weil sie nicht kämpfen? [...] Kommt es den Leuten je in den Sinn, dass es in Italien und Deutschland glückliche Menschen gibt?«
Als Joe jr. am 21. August in Berlin die englische Aristokratin Unity Mitford trifft, ist er gleichwohl
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