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Unter Deutschen

Unter Deutschen

Titel: Unter Deutschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Kennedy
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der Diktatur täuschen ließ.
    Zögerliche oder mehrdeutige Reaktionen sind charakteristisch für viele ausländische Reisende, die Nazi-Deutschland besuchten. Als er für die Neue Zürcher Zeitung 1935 aus Berlin berichtete, erlebte der Schweizer Max Frisch sogar eine rassistische Ausstellung mit einer Mischung aus moralischem Befremden und technischer Bewunderung. Die Dänin Karen Blixen beeindruckten noch im ersten Kriegsjahr die überdimensionalen Neubauten als »größte ästhetische Leistung«, die »tiefe Bewunderung« hervorrief und zugleich etwas »Gespenstisches« hatte. Der in die USA ausgewanderte Heinrich Hauser führte in einem Text mit dem Titel »Berlin in the Summer of 1939« vor, welche gegensätzlichen Eindrücke ein fremder Besucher von Hitlers Reich bekommen konnte, indem er zwei Besichtigungen der Hauptstadt schilderte: die eine mit einem offiziellen Führer und die andere mit einem Gegner des Regimes.
    In vielen Berichten finden sich ähnliche Ambivalenzen. Zahlreiche Besucher schwankten zwischen Abstoßung und Anziehung, oder sie veränderten ihre Haltung im Verlauf der Diktatur-Erfahrung. Eine besonders wendungsreiche Abfolge widersprüchlicher Einstellungen durchlief Martha Dodd, während sie mit ihrem Vater, US-Botschafter William Edward Dodd, von 1933 bis 1937 in Berlin lebte. In ihrem Buch über »My Years in Germany«, das sie noch vor dem Krieg veröffentlichte, schildert sie, wie sie zunächst naiv für die Deutschen und sogar für die Nazis Partei ergriff, wie sie das Land romantisierte und erste Irritationen beiseiteschob, wie sie angesichts antisemitischerGewalt auf der Straße eine Verunsicherung mit Sarkasmus bewältigte und sich politisch sogar noch schlimmer verstieg, bevor Informationen über Terror, Folter und Konzentrationslager sie ernüchterten, wobei eine ästhetische und sogar erotische Attraktion fortdauerte, bis sie endlich zu einer konsequent ablehnenden Haltung fand und den kommunistischen Untergrund unterstützte. Am Ende warnte Dodd ihre Landsleute ebenso eindringlich wie klarsichtig, Hitler werde die Welt in einen Krieg stürzen und er plane die Vernichtung der Juden.
    Lem Billings beschrieb den Reifeprozess seines Freundes im Rückblick geradliniger: »Es ging in Jack Kennedy eine merkliche Veränderung vor sich. Im Sommer 1937 hatte er gerade sein erstes Jahr in Harvard absolviert, und er begann ein größeres Interesse zu zeigen und einen stärkeren Willen, die Probleme der Welt zu durchdenken und seine Ideen niederzuschreiben [...]. So bestand er zum Beispiel darauf, dass wir jeden deutschen Anhalter mitnahmen. Das machte sich bezahlt, denn viele von ihnen waren Studenten und sprachen Englisch. Auf diese Weise lernten wir eine ganze Menge über Deutschland. Ich erinnere mich, dass wir zwei deutsche Soldaten mitnahmen, die Urlaub hatten. [...] Sie verbrachten eine Woche mit uns, und wir hatten den Eindruck, dass ihre Einstellung pro Hitler war. Wir nahmen einen anderen deutschen Studenten mit, der sehr gegen Hitler war. Wahrscheinlich ist er nun tot.«
    Die europäische Reise des Sommers 1937 war eine politische Initiation. Kennedy wurde, wie Billings erklärt, »völlig eingenommen vom Interesse an der Hitler-Bewegung.« Dieses Interesse galt vorallem der öffentlichen Inszenierung. Die Medien, bemerkt Kennedy, hatten großen Anteil an der Popularität der Diktatoren: »Hitler scheint hier so beliebt zu sein wie Mussolini in Italien, wenngleich Propaganda wohl seine stärkste Waffe ist.« Mit wie großem Erfolg diese Beliebtheit künstlich hergestellt oder verstärkt wurde, werde von außen jedoch unterschätzt: »aufgrund ihrer wirkungsvollen Propaganda sind diese Diktatoren im eigenen Land beliebter als außerhalb«. – Erkenntnisse zur Wirksamkeit medialer Kommunikation werden dem Kandidaten in seinen Wahlkämpfen nützlich sein: für den Kongress, zum Senat und um die Präsidentschaft.
    Auf den letzten Seiten seines Notizbuchs stellt Kennedy eine Reihe von Fragen. Wie populär ist Mussolini? Wie entwickelt sich der Spanische Bürgerkrieg? Wird das Bündnis zwischen Deutschland und Italien Bestand haben? Kann Englands Aufrüstung die Gefahr eines Krieges verringern? Wäre der Faschismus in den USA möglich? Welche Rolle spielt Frankreich? Und die Sowjetunion? Ist der Faschismus die letzte Phase des Kapitalismus? Ein Vorspiel zum Kommunismus? – Das Tagebuch schließt mit dem Zweifel des fragenden Beobachters, der noch unsicher um Verständnis ringt:

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