Unter feindlicher Flagge
verächtlich. »Sie sind eine Schande für den Offiziersstand. Bei jeder Kleinigkeit, die gesprochen wird, laufen Sie gleich zum Kommandanten und buhlen um jeden Preis um seine Gunst. Haben Sie nie darüber nachgedacht, was es für Ihre Karriere bedeuten wird, wenn Sie Harts Schützling sind?« Doch da fielen Hayden die Briefe an »Mr Banks« ein - und kühlten seinen Zorn.
Landrys Entrüstung verpuffte. Dann sank er auf einen Stuhl. »Weder mir noch Ihnen ist eine Karriere beschieden, Hayden. Von diesem Gedanken verabschiedeten wir uns beide, als wir an Bord der Themis kamen.« Sein Blick huschte zu den Deckenbalken und zur Kapitänskajüte. Für einen Moment glaubte Hayden, der Leutnant würde in Tränen ausbrechen. »Er - ruiniert uns noch alle mit seinem Zaudern und seiner erbärmlichen Tyrannei. Aber was soll ich tun? Kein anderer Kommandant wird mich jetzt noch haben wollen. Und doch ist die See mein Leben. Ein anderes Leben kann ich mir nicht vorstellen. Hart hat mir alles genommen, und mir bleibt nichts anderes übrig, als nach seiner Pfeife zu tanzen und mich jeder Demütigung zu fügen, denn ohne Hart bin ich verloren.« Fast flehentlich schaute er zu Hayden auf. »Ich bin wie ein Mann, der ins Meer gefallen ist und sich an einem Stück Treibgut festklammert, doch ich weiß, dass auch das bald zerfällt und ich untergehen muss. Und so wird es auch Ihnen ergehen, Hayden, nur wissen Sie es noch nicht. Hart wird Ihren Willen brechen. Ich kann schon einen Riss in Ihrem Stolz sehen, dort, wo Hart Aldrich die Peitsche gab. Der Kommandant kennt nun Ihren Schwachpunkt. Die Mannschaft wird er als Geisel halten, und wenn Sie es wagen, ihm zu trotzen, wird er einen anderen unschuldigen Mann auspeitschen lassen und dann noch einen. Bis Sie klein beigeben. Und wenn Sie dann eines Morgens durch Ihr Fernrohr sehen, Mr Hayden, werden Sie mich sehen.«
Der Erste Leutnant wusste nicht, was er sagen sollte. Steckte tief in Landry doch noch eine menschliche Seite?
Er beugte sich vor. »Ist Hart denn nicht bewusst, dass diese Besatzung kurz vor der Meuterei steht?«
Landry schüttelte den Kopf. »Er glaubt, die Peitsche schützt ihn.«
Hayden ließ sich schwer auf einen Stuhl sinken. »Aldrich war die Stimme der Besonnenheit unter den Matrosen. Lässt Hart noch einen von ihnen auspeitschen, wird er bald feststellen, dass das Deck unter ihm wie dünnes Eis ist.«
Landry betrachtete ihn fast mitfühlend. »Überschätzen Sie den Mut der Mannschaft nicht. Die Männer sind seit Jahren zur Feigheit gezwungen worden. Sie wissen nicht mehr, woher sie noch den Mut nehmen sollen.«
»Immerhin haben sie das Frachtschiff im Goulet aufgebracht«, entgegnete Hayden.
»Ein schlecht verteidigtes Handelsschiff ist noch keine Fregatte, Mr Hayden. Wenn es zu einem echten Kampf kommt, werden Sie schon sehen, dass die Männer nichts taugen.« Landry erhob sich, nickte Hayden kurz zu und ging zur Tür. »Sie bemühen sich umsonst, Hayden. Die Themis ist von innen verfault. Sie zerfällt um uns herum, und eines Tages wird sie jeden Matrosen an Bord mit in die Tiefe ziehen. Und wir werden auch unter den Opfern sein.« Schnell verließ der Zweite Leutnant die Messe.
Hayden saß einen Moment lang da und starrte auf den leeren Tisch. Unzählige Gedanken wirbelten ihm durch den Kopf. War es denkbar, dass Landry einst wie er gewesen war? So voller Eifer und von dem Wunsch beseelt, Karriere in der Navy zu machen? War die Fäulnis, die sich durch das Schiff fraß, etwa auf Landry übergesprungen und hatte alles an ihm weggefressen und nur eine Hülle zurückgelassen? Bis der Landry übrig blieb, den Hayden kannte? Eins stand fest: Wenn Hart jedes Mal einen unschuldigen Matrosen auspeitschen ließ, mit der Absicht, Hayden zu bestrafen, säße er, Hayden, bald in der Klemme. Die Besatzung würde schnell begreifen, warum es zu diesen Auspeitschungen kam, und Hayden verachten. Dann hätte er keine Verbündeten mehr an Bord.
Während der ersten Monate der Französischen Revolution hatten sich einige Adlige auf die Seite der Revolutionäre geschlagen und sich nicht nur gegen den König, sondern oft auch gegen ihre eigenen Familien gestellt. Viele waren weitsichtige Männer gewesen, Männer mit Gewissen, andere aber waren gegen die Stimme ihres Gewissens an der Seite des Königs oder des Adels geblieben. Jetzt fühlte sich Hayden wie einer dieser Männer. Aber in Haydens Fall zog sein Gewissen ihn in beide Richtungen. Hart war ein Tyrann, aber Hayden
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