Unter feindlicher Flagge
glaubte, dass die englische Sache - und das schloss auch Hart mit ein - richtig war. Die Beschwerden der Männer waren in vielerlei Hinsicht gerechtfertigt, aber es war nun einmal nicht die Zeit, zu protestieren oder sich den Pflichten zu verweigern. Denn schließlich befand sich England im Krieg. Noch nie in seinem Leben war Hayden so hin und her gerissen gewesen. Es gab zu viele Widersprüchlichkeiten, derer er nicht Herr wurde. Am liebsten hätte er sich den Ärger von der Seele geschrien, so verzweifelt war er.
Und dann gab es da noch die Briefe an »Mr Banks«. Wie sehr wünschte er sich nun, er hätte den Zettel niemals von Philip Stephens' Tisch genommen. Besser kein Schiff, aber dafür eine intakte Ehre - und eine Zukunft! Denn Landry hatte gewiss in einem Punkt recht: Kein Kommandant würde ihn jetzt noch haben wollen.
Er nahm seinen Hut, stieg an Deck und trat hinaus in den Sonnenschein. Niemand grüßte ihn, nicht ein freundliches Gesicht wandte sich ihm zu. Die Matrosen stierten ihn mit leeren Blicken an, als wären sie alle zum Tode verurteilt - als wäre Hayden ein Zuschauer, der dem Karren der Verurteilten zum Schafott nachschaute.
Als er sich umdrehte, gewahrte er Hart, der an der Reling stand. Sein Blick heftete sich auf Hayden. Doch der Kommandant lächelte undurchsichtig.
»Ist das nicht ein vollkommener Tag, Mr Hayden? Der Sturm brachte den Regen und fegte alles hinfort, was Gott nicht für gut befand. Und jetzt entsteht die Welt neu. Und ich - ich bin es zufrieden.«
Hayden lag in seiner Koje und war immer noch erschöpft von den Anstrengungen an der Küste. Seine Glieder schmerzten, sein Körper war verspannt. Die Tür zu seiner Kabine war geschlossen. Die Gespräche in der Offiziersmesse ignorierte er. Das leichte Schwanken der Themis auf ihrem Kurs nach Süden hätte vielleicht beruhigend auf ihn gewirkt, wenn er nicht so voller Wut gewesen wäre. Das Knacken und Knarren des Schiffes, das dumpfe Schlagen eines Fasses unten im Laderaum - alles vertraute Geräusche, aber in dieser Nacht gab es für Hayden keinen Trost.
In Händen hielt er Mr Paines Pamphlet, das seit Kurzem für so viele Schwierigkeiten gesorgt hatte. Er las in The Rights of Man :
Jede erbliche Regierungsform ist in ihrem Wesen Tyrannei. Eine erbliche Krone oder ein erblicher Thron, oder mit welchem ausgefallenen Namen man so etwas bezeichnen möchte, haben keine andere signifikante Erklärung, als dass die Menschen erblicher Besitz sind. Wer eine Regierung erbt, erbt auch das Volk, als wären die Menschen Herdentiere.
K APITEL SIEBZEHN
Die Kanone donnerte und schnellte zurück. Kreischend glitt der hölzerne Lafettenschlitten über den eisernen Rahmen und kam mit einem Stottern zum Stehen. Hayden legte eine Hand auf den Rahmen und fand ihn überraschend warm.
»Ich habe immer noch Angst vor Funkenflug«, sagte der Stückmeister unglücklich. Es war offensichtlich, was er von der neuen Waffe hielt.
»Nicht ein Funke!«, erwiderte Muhlhauser fröhlich. Er war so erfreut, dass endlich seine Waffe abgefeuert wurde, dass er die Reaktion der Mannschaft nicht wahrnahm.
Einige wachhabende Offiziere hatten sich bei dem Geschütz eingefunden, um Zeuge der Vorführung zu werden. Doch nun standen sie zusammen, schüttelten die Köpfe und sprachen leise miteinander. Einige hatten für die neue Konstruktion nur ein verächtliches Grinsen übrig.
»Eisen wird diesem Rückstoß nicht lange standhalten«, merkte Barthe kritisch an. »Es ist zu brüchig. Ja, es wird letzten Endes brechen, fürchte ich.«
»Sie können damit getrost hundertmal am Tag feuern«, versicherte ihm Muhlhauser. »Wir haben unser Geschütz lange an Land getestet, ehe wir es auf ein Schiff brachten. Sie werden sehen, Mr Barthe, es wird keine Funken geben. Und der Rahmen wird auch nicht brechen. Haben Sie bemerkt, wie schnell sie nachgeladen und wieder ausgerannt werden kann? Viel schneller als ein Standard-Achtzehnpfünder. Also, ich wäre nicht überrascht, wenn dieses Geschütz in naher Zukunft viele der langen Blomefields ablöst.«
Bevor die Kanone erneut abgefeuert werden konnte, trieb der Ruf »Segel!« Hayden auf das Quarterdeck. Dort holte er im goldenen Licht der Biskaya sein Fernrohr hervor. Es war wieder ein warmer Herbsttag, als habe der lang anhaltende Sommer noch so viel Schwung, dass die Zahlen auf dem Kalender keine Aussagekraft hatten.
»Wo genau?«, wandte er sich an Archer, der nach Süd-Südwest zeigte.
Mehrere Offiziere richteten ihre
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