Unter feindlicher Flagge
ganz gleich, wie schwer seine Verletzung ist.«
Hawthorne fluchte. »Woher wussten Sie, dass die Franzosen frei waren?«
Hayden fasste sich an die Stirn. Bei dem Schmerz in seinem Kopf hatte er nicht untertrieben. »Es war eigenartig - ich döste so vor mich hin. Kennen Sie das, wenn man schon halb eingeschlafen ist und trotzdem noch wach ist und sich die Realität in die Träume schleicht? Ich träumte, dass jemand etwas auf Französisch flüsterte - und da merkte ich, dass ich gar nicht richtig schlief. Einen Moment lang war ich mir nicht sicher, ob ich es nicht vielleicht doch geträumt hatte, doch dann hörte ich dieses Flüstern wieder. Ich sprang aus meiner Koje und griff nach dem Entermesser. Erst da entdeckte ich, dass mein Wachtposten, Jennings, schlafend und friedlich schnarchend in einer Ecke lag.«
»Dafür gibt es keine Entschuldigung«, erklärte Hawthorne. »Viele waren erschöpft und taten dennoch ihre Pflicht.«
»Ich schickte ihn los, um Verstärkung zu holen ...« Hayden erzählte kurz, was sich dann zugetragen hatte. Während er sprach, kam Griffiths leise herein und untersuchte Haydens Kopfverletzung.
»Warum waren Sie wach, Doktor?«, wollte Hayden wissen, als der Arzt mit der Untersuchung fertig war.
»Ich machte mir Sorgen um Freeman, und da ich bei dem Schlingern nicht schlafen konnte, beschloss ich, nach ihm zu schauen. Als ich die Messe verließ, stieß ich auf die Franzosen. Zwei von ihnen hatten sich Musketen besorgt.«
»Sie überwältigten die Maate des Quartiermeisters, die die Franzosen beim Pumpen bewachen sollten«, erklärte Hawthorne.
»Unter ihnen war auch Marin-Marie«, fuhr Griffiths fort. »Ich fürchte, er war doch nicht so schwer verletzt, wie ich glaubte. Irgendwie hat er sich aus dem Lazarett gestohlen. Sie nahmen mich mit hinunter zum Orlopdeck - na, den Rest kennen Sie ja. Es grenzt an ein Wunder, dass ich in dem Kampf am Leben blieb, aber die Franzosen hatten mich gezwungen, mich lang aufs Deck zu legen. Sobald die Franzosen angegriffen wurden, rief ich aus Leibeskräften auf Englisch.«
»Ja, ich erinnere mich, dass jemand laut und gotteslästerlich auf Englisch geflucht hat«, merkte Hawthorne an und verkniff sich ein Lächeln.
»Ich weiß nicht mehr genau, was ich da gerufen habe, Mr Hawthorne, aber es ging eben um Leben und Tod.«
»Wir hatten Glück, dass wir nicht mehr Leute verloren haben«, sagte Hayden. »Und es freut mich wirklich, dass Sie unversehrt geblieben sind, Doktor.«
»Mr Hayden rief uns mehr als einmal in Erinnerung, dass Sie Gefangener der Verschwörer waren«, ergänzte Hawthorne.
»Wie steht es um unser Schiff?« Hayden wandte sich an Wickham.
»Der Sturm ist im Verlauf der letzten Stunden nicht schlimmer geworden, Sir. Wir hoffen, dass er bald nachlässt. Mr Chettles Ausbesserungen haben gehalten, kaum ein Tropfen dringt noch durch die Ritzen. Daher brauchen wir auch nicht mehr ununterbrochen zu pumpen. Ich rechne damit, dass der Wind bei Sonnenaufgang abflaut. Und wenn er nicht ganz ausbleibt, müssten wir im Laufe des Morgens England erreichen.«
»Hoffen wir das Beste, Mr Wickham. Vielleicht schaue ich mich einmal an Deck um ...«
»Das halte ich nicht für ratsam, Mr Hayden«, sagte der Doktor entschieden. »Es ist alles geregelt. Sie müssen sich jetzt ein paar Stunden Ruhe gönnen. Warten wir ab, wie es Ihrem Kopf geht. Nach einem solchen Schlag kann es zu inneren Blutungen kommen, und körperliche Anstrengung macht es dann nur noch schlimmer.«
»Ja, keine Eile«, meinte Hawthorne. »Sobald wir zu Hause sind, werden wir alle vors Kriegsgericht gestellt - wegen des Verlusts unseres Schiffes. Da brauchen wir uns nicht zu beeilen.«
K APITEL DREIUNDZWANZIG
Eine seltsame, hohle und auf eine Weise unnatürliche geistige Leere hatte Hayden erfasst. Seine Gedanken verliefen nicht mehr in den gewohnten Bahnen. Gewiss war dieses zeitweilige Abgleiten von dem sonst durch Vernunft bestimmten Denken dem schweren Schlag auf den Schädel geschuldet, obwohl der Schiffsarzt Hayden versicherte, dass es ihm bald wieder besser gehen würde.
Doch sein mentaler Zustand wurde auch dadurch nicht besser, dass sich Hayden in einem Traum auf den Straßen von Plymouth sah, gekleidet in den Seidenmantel des französischen Kommandanten. Wohin er sich auch wandte, blieben die Leute stehen und gafften ihn mit stumm anklagender Verachtung an. Es brachte ihm auch keine Erleichterung, dass er aufwachte, da die Gefühle des Traums in seiner Erinnerung
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