Unter feindlicher Flagge
eben, was mir nicht gelingen will. Das Herz - zumindest mein Herz - hat sich nie von den Erwartungen lenken lassen, die mein Verstand in es setzte.«
Ein Klopfen an die Tür unterbrach die Freunde in ihrem Gespräch. Hobson steckte den Kopf herein.
»Bitte um Verzeihung, Mr Hayden. Ein Beiboot mit zwei Damen kommt längsseits. Eine der Damen muss Mrs Hertle sein, Sir. Ich habe den Befehl gegeben, die beiden an Bord kommen zu lassen. Ich hoffe, das entspricht Ihrem Wunsch.«
»Durchaus, Mr Hobson«, erwiderte Hayden und erhob sich. Ein freudiger Ausdruck trat in das Gesicht seines Freundes, worauf Hayden bemerkte: »Nun, es ist nicht zu übersehen, dass bei dir Herz und Verstand in Einklang sind, Robert - zumindest was die Wahl deiner Partnerin anbelangt. Gehen wir an Deck.«
Er folgte Robert hinauf aufs Quarterdeck, wo sie Mrs Hertle in Begleitung ihrer Cousine Miss Henrietta Carthew trafen. Die Damen schauten sich staunend und ein wenig außer Atem an Deck um. Beide hatten trotz der Schirme und Hauben leicht gerötete Wangen von der Sonne und vom Wind. Die Röte auf ihren Wangen vertiefte sich noch, als sie die beiden Gentlemen kommen sahen.
Hayden spürte gleich, dass sich seine düstere Stimmung augenblicklich aufhellte, ganz so, als habe eine kühle Brise nach Wochen in den Kalmen endlich seine Segel gefüllt.
Als Kommandant an Bord eines Schiffes begrüßte Robert Hertle seine Gemahlin nicht mit der herzlichen Zuneigung, mit der er sie sonst empfangen hätte, insbesondere nach einer längeren Trennung, aber seine Freude war dennoch nicht zu übersehen. Henrietta vollführte einen eleganten Knicks und begrüßte die beiden Männer dem Rang entsprechend.
»Leutnant Quichotte«, sagte sie mit einem gewinnenden Lächeln, das um ihre Mundwinkel spielte.
»Miss Henrietta, es freut mich, endlich die Gelegenheit zu haben, mich bei Ihnen für das Buch zu bedanken, das Sie mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt haben.«
»Sie könnten mich mit einem Rundgang an Deck belohnen, Mr Hayden, sofern das überhaupt möglich ist.«
»Gewiss. Mrs Hertle? Möchten Sie sich auch ein wenig an Deck umschauen?«
»Wäre es sehr unhöflich von mir, wenn ich in diesem Punkt um Nachsicht bitte, Leutnant Hayden? Ich habe das Gefühl, ein wenig zu lange in der warmen Herbstsonne gewesen zu sein ...«
»Durchaus nicht. Möchten Sie sich in die Große Kabine unter Deck zurückziehen? Dort ist es kühler, und durch das Oberlicht kommt seit der Frühe eine angenehme Brise herein.«
Kapitän Hertle begleitete seine Frau nach unten, und Henrietta schenkte Hayden ein verschwörerisches Lächeln. Gemeinsam schritten sie entspannt über das Deck, wobei Hayden viele Fragen zu beantworten hatte. Auf dem Vorderdeck beschattete Henrietta ihre Augen mit einer Hand und schaute hinauf in das schier verwirrende Rigg.
»Das ist ein unüberschaubares Gewirr, nicht wahr, Leutnant?«
»Auf den ersten Blick, ja, in der Tat.«
»Und jedes Tau hat eine andere Funktion und einen obskuren nautischen Namen - wie etwa Bramtoppnant oder Bramstengepardunen?«
»So in der Art«, sagte Hayden und musste lächeln. In seinem gegenwärtigen mentalen Zustand fühlte er sich Henrietta unterlegen.
»Und verraten Sie mir bitte, Mr Hayden, was sind das für Taue hier?« Sie nickte in Richtung der Taue, die schräg vom Klüverbaum abgingen.
»Stage, Miss Henrietta.«
»Schnüren sie die Taille des Schiffes wie die Streben eines Korsetts?«
»Ungefähr so.«
»Und, beklagt sich das Schiff?«
»Nur nach der Abendmahlzeit.«
»Jetzt weiß ich, was es bedeutet, wenn man sagt, ein Schiff sei wohlerzogen.«
Auf ihrem Rundgang erreichten sie wieder das Quarterdeck über die Backbord-Gangway. Die Matrosen, die an Deck arbeiteten, gaben sich redlich Mühe, das weibliche Geschöpf nicht zu offen anzustarren, das sich in ihre kleine Welt begeben hatte - ganz anders als die meisten Damen, die sie kannten.
»Mr Hayden ...« Henrietta hatte den Kopf leicht schräg gelegt. »Ich vermute, dass der Verband, den Sie um den Kopf tragen, keiner nautischen Mode entspricht?«
»Ein ziemlich undankbarer Franzose hat mir einen tüchtigen Schlag versetzt, Miss Henrietta. Ich fürchte, das hat mich zu einem Dummkopf gemacht - wenn auch nur vorübergehend, wie ich hoffe.«
»Es tut mir leid, dass Sie verletzt wurden, Leutnant«, sagte sie, und ein eigenartiger Ausdruck, in dem wahre Sorge mitschwang, schlich sich in ihre Miene. Doch Henrietta hatte sich rasch wieder unter
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