Unter feindlicher Flagge
Haben Sie dieses Fleckchen mit vernachlässigten Kohlköpfen gesehen? Kümmerlich und faulig. Da könnte ja ein Schuster besser Gemüse anbauen.«
Hayden musste lachen. »Ich fürchte, dass wir keine Zeit haben, mit den Einheimischen über Gemüseanbau zu debattieren, Mr Hawthorne.« Dann schaute er sich um. »Hier sind wir ganz gut versteckt und können abwechselnd schlafen. Es könnte noch eine lange Nacht werden. Mr Wickham ...«
»Ich übernehme die erste Wache«, bot sich der Midshipman gleich an.
Hayden lächelte und legte sich auf den harten Boden. »Und Mr Hawthorne? Ich rate dringend von Schnarchen ab. Das wird Sie als Engländer entlarven.«
»Ich werde wie ein Franzose schnarchen, Mr Hayden. Darauf können Sie sich verlassen.«
Eine Weile lag Hayden wach. Er atmete den Duft des Waldes ein, der die Erinnerungen an die Kindheit zurückbrachte. Einen Großteil seiner Jugend hatte er nicht weit von diesem Ort verbracht, ja, einst hatte er sogar mit seinem Cousin in diesem Waldstück gespielt. Jetzt fluteten all die Gefühle und Gedanken jener Zeit zu ihm zurück. Er war glücklich und zufrieden gewesen und hatte in der kindlichen Zuversicht gelebt, dass die Welt sicher und gerecht war. Wie sehr hatte sich die Welt seither für ihn geändert! Als Junge war er entweder Franzose oder Engländer gewesen, je nachdem in welchem Land er sich gerade aufhielt. Die Umstände hatten sich geändert. Man musste eine Entscheidung treffen - aber er fühlte sich manchmal wie ein Kind, das sich zwischen Vater und Mutter entscheiden musste. Und jede Wahl brachte Verlust mit sich.
Jetzt entsann er sich, dass er Henrietta erzählte hatte, in Frankreich fühle er sich wie ein Engländer, der sich als Franzose verkleidete. Seit wann dachte er so? Er vermochte es nicht zu sagen.
Hayden wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, aber als er aus tiefem Schlummer erwachte, spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Er riss die Augen auf und merkte, dass ihm die Sonne ins Gesicht schien. Ihm war viel zu heiß in dem französischen Mantel. »Bin ich an der Reihe?«
»Noch nicht, Sir«, wisperte Wickham, »aber da hinten sind Leute.«
Sofort setzte sich Hayden auf. Ihm war ein wenig schwindelig von der Wärme. Dann schüttelte er den Kopf, knöpfte sich den Mantel auf und spürte den leichten Wind am Körper.
»Wo, Wickham?«
Der Midshipman ging in die Hocke, kroch dann durch das Unterholz, drückte einen Zweig zur Seite und zeigte stumm in eine Richtung. Zwei junge Damen und eine Schar Kinder spielten ausgelassen unweit des Verstecks.
»Verdammt ...«, wisperte Hayden.
»Was machen die hier?«, fragte Wickham.
»Sie haben ihren Spaß, würde ich sagen.« Dann fiel ihm auf, dass die älteren Mädchen Körbe unterm Arm trugen. »Vielleicht suchen sie Pilze.«
»Zufällig Verwandte von Ihnen, Sir?«
»Leider nein. Die Familie meines Onkels zog vor einigen Jahren nach Arcachon.«
»So ein Pech.«
Hayden nahm die Szene mit einer gewissen Traurigkeit in sich auf. Dort spielten zwei hübsche junge Frauen. Sie trugen Strohhüte mit Schleifen und waren das Abbild von Jugend und Unbekümmertheit. Die Kinder sprangen und rannten um sie herum wie eine kleine wogende See, hier und da überwältigt von Stürmen aus Gelächter. Wie weit entfernt diese unschuldigen Landkinder doch von den Sansculottes des Pariser Mobs waren! Es war wie ein Schock für ihn, dass er auch gegen diese friedliebenden Kinder Krieg führte.
»Falls sie in den Wald kommen, müssen wir von hier verschwinden. Aber das wird schwierig werden.«
»Glauben Sie, dass die in den Wald kommen?«
»Ja, wahrscheinlich. Es ist bereits zu warm, um in der Sonne zu sitzen. Und wenn sie wirklich Pilze sammeln, dann werden sie im schattigen Wald suchen.«
»Dann können wir wohl nur abwarten«, sagte Wickham und ließ den Zweig langsam zurückgleiten.
»Ja. Wir sollten Hawthorne wecken. Ich höre ihn schon schnarchen.«
»Aye, Sir.« Wickham kroch leise zurück, während der Leutnant dem unbeschwerten Lachen der Kinder und jungen Frauen lauschte.
Kurz darauf waren Wickham und Hawthorne an Haydens Seite. Der Leutnant der Seesoldaten wirkte ziemlich verschlafen.
»Eine Trommel, Mr Hayden, aus Südwest.«
So schnell er konnte, huschte der Erste Leutnant durch die Schatten der Bäume und ging hinter einem umgestürzten Baumstamm und ein paar Büschen in die Hocke. Ein Trupp französischer Soldaten kam in sein Blickfeld. Sie marschierten in Reihen aus blauen Uniformjacken.
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