Unter feindlicher Flagge
wegrennen?«, flüsterte Hawthorne.
»Nur wenn wir bis zur Themis schwimmen können.«
Hayden antwortete auf Französisch und bedeutete den Kameraden, ruhig weiterzugehen.
Oben am Pfad stießen sie auf zwei Männer, die beide runde Hüte und Hemden von einheitlicher Farbe trugen - die örtliche Miliz, wie Hayden vermutete. Sie richteten ihre Musketen auf die Fremden, obwohl sie nicht damit zu rechnen schienen, zu dieser Zeit und an diesem Ort auf Feinde zu treffen.
»Und wer seid ihr?«, verlangte einer der Männer zu erfahren. »Wir kennen euch nicht.«
Hayden erkannte sofort, dass die Männer nicht Französisch, sondern Bretonisch sprachen, und antwortete fließend in eben dieser Sprache. Als die Männer ihre Muttersprache hörten, ließen sie die Musketen sofort sinken.
Hayden stellte seine Begleiter vor, und nach einem kurzen Gespräch und einem kleinen Bestechungsgeld verschwanden die drei Engländer in der Dunkelheit.
Als sie gut einhundert Yards hinter sich gelassen hatten, wisperte Wickham: »Das war aber doch kein Französisch - oder?«
»Nein, Bretonisch«, erwiderte Hayden. »Die beiden Männer denken nun, dass Sie mein Sohn sind, auch wenn ich Sie dann mit acht Jahren hätte zeugen müssen, aber das ist egal. Und sie glauben, dass Mr Hawthorne ein englischer Schmuggler ist. Von nun an freuen sie sich auf eine lange und lukrative Zusammenarbeit.«
»Die haben gleich gemerkt, dass ich Engländer bin!«, wisperte Hawthorne empört. »Dabei habe ich doch nur einmal kurz bonjour gesagt.«
»Ja, nun ...«, antwortete Hayden, führte die beiden dann aber weiter, ohne weiter auf Hawthornes Bemerkung einzugehen.
Die Seeseite der schmalen Halbinsel war kahl - eine Heidelandschaft, die im Winter von den eisigen Winden des Atlantiks heimgesucht wurde. Doch jenseits der Anhöhe, auf der Seite, die zum Hafen von Brest zeigte, wich die karge Landschaft fruchtbarem Boden und dichten Wäldern, ganz so, als hätten die drei Spione ein anderes Land betreten.
Die Häuser des kleinen Dorfes Crozon mieden sie. Die Kirchturmspitze war vor dem Sternenhimmel zu sehen. Sie blieben auf schmalen Wegen und auf Feldern, soweit dies möglich war, und stahlen sich durch die Schatten der Bäume und Hecken. Hin und wieder wusste Hayden trotz seiner Jugenderinnerungen nicht genau, wo sie waren, doch im Großen und Ganzen führte er seine Kameraden recht gut zu dem Ort, zu dem er wollte. Leider sah des Nachts alles anders aus - nichts als Mondlicht und Schatten. Oft musste Hayden stehen bleiben und versuchte, die Landschaft mit den Erinnerungen in Einklang zu bringen.
Allzu früh brach die Dämmerung an, und die drei hockten sich in den Schatten einer Baumgruppe, wo sie etwas von dem Schiffszwieback aßen. In seinem Beutel hatte Hayden auch ein zusammenschiebbares Teleskop und eine Pistole. Als Tarnung hatte er noch ein Buch eingesteckt über Vögel und andere Tiere in Europa, um im Ernstfall das mitgeführte Teleskop rechtfertigen zu können. Die Pistole wäre da schon schwieriger zu erklären. So würde er sich also als Naturforscher ausgeben, der das Wunder der Tier- und Pflanzenwelt zu beobachten suchte. Zum Glück war das Buch auf Italienisch und nicht auf Englisch verfasst.
Tatsächlich wimmelte es in dem Wald nur so von Vögeln: Buchfink, Lerche, Blaumeise, Zaunkönig. Die Männer ruhten sich in der Morgensonne ein wenig aus, die zwischen den im leichten Wind rauschenden Blättern hindurch zu sehen war.
»Wie weit wird es noch sein?«, fragte Wickham.
»Nicht weiter als eine Meile.« Hayden verlagerte sein Gewicht, da eine Wurzel drückte, setzte sich aber wieder auf eine andere. »Ich denke, den Tag über sollten wir hier ausharren. Es hat keinen Zweck, bei Tageslicht zu viel in der Gegend herumzulaufen. Die Leute hier achten auf Fremde, und wir wollen ihnen keinen Anlass für Gerede oder lästige Fragen geben. Eine Stunde vor Sonnenuntergang verlassen wir das Versteck und erreichen dann die Stelle, von wo aus wir die Rade de Brest auskundschaften können. In der Dämmerung machen wir uns dann wieder auf den Weg zurück nach Crozon. Wir werden unsere neuen Freunde, die Milizmänner, erneut bestechen müssen, um dann vor Mitternacht wieder am Strand sein zu können.«
»Hört sich einfach an«, stimmte Hawthorne mit einem Grinsen zu, aber seine Miene verriet Zweifel. »Ich muss gestehen, ich halte nicht viel von der Landwirtschaft hier. Haben die nie davon gehört, Wiesenklee anzupflanzen? Was ist mit Fruchtwechsel?
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