Unter feindlicher Flagge
einem großen Haus, sind zufrieden und werden dick.«
Anne nickte, als hätte sie mit dieser Erklärung gerechnet. »Wir trafen ihn einmal, als wir alle noch Kinder waren.«
»Er sah nicht so gut aus wie Guillaume«, sagte Marie mit Wehmut in der Stimme.
»Aber er war klüger«, sagte Hayden. Plötzlich schaute er von links nach rechts und tat so, als lausche er in den Wald hinein. »Habt ihr das gehört? Meine Samtkopf-Grasmücke! Sie ruft. Wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet ...«
Die jungen Frauen lächelten und gaben ihm mit Gesten zu verstehen, dass er sich wieder auf die Suche machen könne. Hayden verschwand rasch zwischen den Bäumen, blieb dann stehen und schaute durch sein Fernrohr in die Krone einer Eiche. Danach winkte er den Damen ein letztes Mal zu und tauchte in die Dunkelheit des Waldes ab. Augenblicke später traf er auf seine Kameraden, die immer noch die vorbeimarschierenden Soldaten beobachteten.
»Sie sollten sich jetzt zurückziehen, ehe man Ihre blassen, englischen Gesichter entdeckt«, wisperte Hayden.
»Und was ist mit den Kindern?«, fragte Hawthorne.
»Ich glaube, ich habe sie davon überzeugen können, dass wir Naturforscher sind und nach der Samtkopf-Grasmücke suchen.«
»Was, um alles in der Welt, ist eine Samtkopf-Grasmücke?«, wollte Hawthorne wissen.
»Ein Vogel, der, soweit ich weiß, Sardinen frisst. Aha, da kommt die Nachhut der Truppe.«
Die letzten Soldaten marschierten vorbei und verschwanden in ihren blauen Uniformen an der Wegbiegung. Hayden atmete erleichtert auf und spürte, wie die Anspannung allmählich von ihm abfiel. Doch dann ritt ein französischer Offizier langsam den Weg zurück. Er hatte einen Jungen vor sich im Sattel, verließ den Weg und verschwand in östlicher Richtung.
»Das ist der Junge, der mich entdeckt hat«, sagte Hawthorne unglücklich.
»Die Mädchen haben mir nicht gesagt, dass er den Soldaten hinterhergelaufen ist«, sagte Hayden. »Verfluchter Mist.«
Wickham sprang auf. »Sollen wir fortlaufen?«
»Bei zweihundert Soldaten in der Nähe? Ich glaube nicht, dass das ratsam wäre.« Hayden wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich werde wohl auch mit dem Offizier reden müssen. Aber er wird mir wahrscheinlich nicht so leicht glauben wie die jungen Damen. Verdammt, hätte ich bloß meinen Onkel nicht erwähnt.«
Schnell rannte Hayden zurück durch das Waldstück, trat dann wie zuvor hinaus auf die Wiese und sah, dass der Offizier abgestiegen war und den jungen Damen zuhörte. Fröhlich schwenkte Hayden sein Fernrohr und grüßte den Offizier auf Bretonisch.
Der Franzose taxierte ihn mit einem ernsten, abschätzenden Blick und antwortete auf Französisch. Daraufhin wiederholte Hayden den Gruß in eben dieser Sprache.
»Ah, da ist er ja«, sagte Anne. »Wie sich herausstellte, kennen wir ihn sogar. Als Junge kam er hierher und besuchte seinen Onkel Gabriel Saint Almond, der einmal unser Nachbar war.«
»Und was machen Sie hier in der Gegend, Monsieur, wenn ich fragen darf?« Der Offizier schien nicht allzu argwöhnisch zu sein, sondern wirkte eher wie ein Mann, der seiner Pflicht mit aller Gründlichkeit nachkam.
»Ich bin, wie man so sagt, aus emotionalen Gründen hier, Monsieur, weil ich noch einmal an den Ort zurück wollte, an dem ich als Junge so viele Sommer verlebte. Aber heute beobachte ich hier die Vögel.« Er hielt das Glas hoch und holte das Bestimmungsbuch aus der Tasche.
»Er sucht nach der Samtkopf-Grasmücke«, ergänzte Anne.
Die Miene des Franzosen änderte sich nicht, wohl aber sein Tonfall. »Die Samtkopf-Grasmücke baut ihr Nest an den Küsten des Mittelmeers, wenn ich mich nicht irre, und fliegt im Winter nach Süden.«
Hayden verfluchte sich für seine Unvorsichtigkeit. Da erwähnte er ausgerechnet einen Vogel, von dem er kaum etwas wusste. »Das stimmt, Monsieur, und daher werden Sie nachvollziehen können, wie überrascht ich war, als ich die Samtkopf-Grasmücke so spät im Jahr hier im Wald singen hörte. Seit einiger Zeit weiß man, dass sie auch weiter nördlich heimisch ist. Kaum zwei Jahre ist es her, da brütete ein Paar in den Niederlanden.«
»Sie scheinen ein gebildeter Mann zu sein ...«
»Er kann sogar Latein«, sagte Marie, als habe sie der lateinische Name des Vogels besonders beeindruckt.
»Ach, wirklich?«, fragte der Offizier und horchte auf.
»Natürlich nicht fließend«, erwiderte Hayden bescheiden und merkte zu spät, wie unvorsichtig er gewesen war, die Sprache des Klerus
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