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Unter goldenen Schwingen

Unter goldenen Schwingen

Titel: Unter goldenen Schwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Luca
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junger Retter umfasste den Rahmen und bog das Metall zur Seite, so als wäre es Papier. Dann schob er seine Arme vorsichtig um mich und zog mich zu sich heran. Er richtete sich langsam auf, und zog mich behutsam aus dem Fahrersitz. Ich lehnte meinen Kopf an seine Brust, als er auf den Sitz stieg und mit einem kraftvollen Satz aus dem Wrack auf die Straße sprang. Kein Ruck, kein Aufprall; seine Landung war so geschmeidig, dass ich sie nicht spürte.
    Vorsichtig legte er mich auf den nassen Asphalt, kniete neben mir nieder und nahm meinen Kopf in seinen Schoß.
    »Hab keine Angst«, sagte er leise. »Hilfe ist schon unterwegs.«
    Unfähig zu sprechen, unfähig zu begreifen, was geschehen war, blickte ich in sein Gesicht. Ich blinzelte gegen den Regen, und er hob seine Hand, um meine Augen vor dem Unwetter abzuschirmen.
    Ich fühlte keine Angst und keinen Schmerz. Ich fühlte nichts als unerklärliche Ruhe. Obwohl das Unwetter um mich herum tobte und ich auf der nassen Straße lag, fror ich nicht. Ich blickte in die Augen des Fremden und nichts anderes war von Bedeutung. Ich wäre zufrieden gewesen, hätte ich dort auf der Straße liegen und bis in alle Ewigkeit in das Gesicht meines Retters blicken können.
    Er war kaum älter als ich selbst, und er war schöner als jeder Mann, den ich zuvor gesehen hatte. Sein Haar war blond und seine braunen Augen blickten mich ruhig an. Vermutlich lag es daran, dass ich mir den Kopf gestoßen hatte, doch es schien mir, als umgäbe ihn ein goldener Schimmer.
    Ich wusste nicht, wie lange ich dort auf dem Asphalt gelegen hatte, bis ich irgendwann die quietschenden Bremsen eines Wagens hörte. Ein fremder Mann beugte sich über mich, sprach mich an, doch ich reagierte nicht auf ihn. Ich war vollkommen versunken in die Augen meines Retters, der mich schweigend in seinen Armen hielt.
    Irgendwann in der seltsamen Zeitlosigkeit, in der ich trieb, ertönten die Sirenen von Einsatzfahrzeugen. Während das Unwetter tobte und der blonde Mann mich mit seinem Körper vor dem peitschenden Regen abschirmte, während er mir die Tropfen aus dem Gesicht wischte und mir Mut zuflüsterte, fühlte ich mich sicher und behütet, und vollkommen beschützt. Ich wollte nicht, dass dieser Moment jemals endete. Als die störenden Sirenen immer lauter wurden und die Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht neben uns hielten, als die Sanitäter aus den Wagen sprangen und zu uns liefen, flüsterte er mir sanft zu, die Augen zu schließen. Ich gehorchte – und das Gefühl der Geborgenheit in meinem Innern blieb.
     
    Wieder war es zuerst ein Geräusch, das mich langsam aus der Bewusstlosigkeit zog.
    Diesmal war es jedoch nicht das Zerreißen von Metall, sondern es war ein regelmäßiger Piepton, der unsanft in mein Bewusstsein drang. Ich öffnete meine Augen, blinzelte, folgte meinem ersten Impuls und blickte nach oben. Mein Blick suchte erwartungsvoll hellbraune Augen über mir. Doch stattdessen stach grelles Neonlicht von der Decke herab und ich schloss geblendet die Lider. Das störende Geräusch neben mir, das rhythmische Piepen, wurde schneller.
    »Victoria?«
    Ich spürte eine vorsichtige Berührung an meinem Arm.
    »Vicky?«
    Jetzt erkannte ich Ludwigs angespannte Stimme.
    Ich zwang mich, die Augen zu öffnen, doch diesmal blickte ich nicht zur Decke, damit mich das grelle Neonlicht nicht wieder blendete. Ich befand mich in einem fremden, hellen Raum, und das Piepen kam von einem Monitor neben meinem Bett. Ich drehte meinen Kopf und sah meinen Vater an, der direkt neben mir stand, und jetzt meine Hand mit beiden Händen festhielt. Tiefe Falten gruben sich in sein Gesicht und ich erschrak darüber, wie alt er aussah.
    »Krankenhaus?«, fragte ich matt.
    Er nickte.
    »Was ist passiert?«
    Ludwig schluckte, bevor er antwortete. Seine Stimme klang gepresst. »Du hattest einen Autounfall.«
    Ich schloss erschöpft die Augen. »Ich erinnere mich«, flüsterte ich langsam.
    »Wie fühlst du dich?«, fragte er leise.
    »Erledigt.« Ich hörte meine eigene Stimme kaum, so rau war mein Hals.
    Ludwig betätigte die Klingel, und kurze Zeit später erschien eine Krankenschwester.
    »Sie ist aufgewacht«, sagte mein Vater knapp, und die Frau nickte und verschwand.
    Ludwig hatte schon immer die Art von Autorität ausgestrahlt, die andere Menschen tun ließ, was er von ihnen erwartete. Alles an ihm, von seinem maßgeschneiderten Anzug bis zu seinen graumelierten Haaren, von seinem ruhig-bestimmten Ton bis zu seinem stechenden

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