Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
heruntergekommene Wohnblocks in Morrissania und Hunts Point zu einem wahren Freundschaftspreis angeboten. Rosenbaum konnte natürlich nicht wissen, dass genau diese Gegenden der South Bronx in der City Hall als vordringliche Sanierungsprojekte vorgesehen waren. Spätestens in ein paar Jahren, wenn nicht noch früher, würden die Grundstücke nach Abriss der maroden Mietskasernen das Hundert- oder Tausendfache wert sein. Diese Information verdankte Sergio seinem absoluten Lieblingsspitzel, der direkt in Kostidis’ Büro saß. Dessen Existenz entschädigte Sergio für den vielen Ärger, den er mit dem Bürgermeister hatte. Eine seltsame Laune des Schicksals hatte einen alten Studienfreund von Zachary St. John zum Mitglied des engsten Stabes von Nick Kostidis gemacht. Es war für Sergio ein Leichtes gewesen, den unzufriedenen Mann durch St. Johns Vermittlung für sich zu gewinnen. Außer einer regelmäßigen Zahlung hatte Sergio demMann versprochen, dessen eigene ehrgeizige politische Ambitionen zu unterstützen. Beim Gedanken daran lächelte Sergio zufrieden. Er hatte ein Auge und ein Ohr direkt im Büro des Bürgermeisters. So weit oben hatte er nie zuvor einen Maulwurf in der City Hall gehabt. Nick Kostidis mochte tun, was er wollte, Sergio war sofort über alles informiert und konnte, wenn nötig, Gegenmaßnahmen ergreifen. Der 108. Bürgermeister von New York City würde ohne Zweifel als der Erfolgloseste von allen in die Geschichte eingehen.
»Also, Paul, was ist?«, fragte Sergio. McIntyre seufzte und Sergio wusste, dass er gewonnen hatte. Der Leiter der Baubehörde wehrte sich pro Forma noch ein bisschen.
»Übrigens«, spielte Sergio seinen stärksten Trumpf aus, »ich habe zufällig genau das Haus gefunden, von dem Ihre Frau seit Jahren träumt. An der Küste von Long Beach mit Blick auf Fire Island. Ein echter Traum mit einem eigenen Bootsanlegesteg und Privatstrand.«
Damit waren die letzten Zweifel beseitigt. Die Gier hatte wieder einmal gesiegt.
»Okay«, Paul McIntyre gab seinen Widerstand auf, »richten Sie Rosenbaum aus, er soll mich anrufen.«
»Sie sind mein Freund, Paul«, Sergio tippte mit der Spitze seines Schuhs gegen die Bronzeminiatur der Freiheitsstatute auf seinem Schreibtisch, »und Sie wissen ja, dass ich meine Freunde niemals vergesse.«
***
Alex hatte den Artikel in der New York Times auch gelesen. Die Andeutung einer Verbindung zwischen Sergio und der Mafia war alles andere als Spekulation, sondern die reine Wahrheit. Der hässliche Mann, dem sie in Sergios Haus begegnet war, war der Mörder von David Zuckerman. Es bestand kein Zweifel daran, dass Sergio sie belogen hatte. Sie hatte seinen Beteuerungen geglaubt, weil sie ihnen hatte glauben wollen. Am Samstagabend war es ihr gelungen, unbemerkt aus seinem Haus zu entkommen. Während der Fahrt in die Stadt hatte sie kurz daran gedacht, Oliver anzurufen, aber sie hatte es nicht getan. Zulebhaft war die Erinnerung an seine Verachtung, und sie hätte es nicht ertragen, wenn er ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen hätte. Die ganze Nacht hatte sie hellwach und zitternd vor Angst in der dunklen Wohnung gesessen und versucht, Klarheit in ihre Gedanken zu bekommen. Sergio ahnte nicht, dass sie die Wahrheit über ihn erfahren hatte, und er durfte es auch nie wissen. Sie musste so weiterleben, als hätte sie nicht den geringsten Verdacht geschöpft. Wieder kroch die Angst in ihr empor. Waren die Gäste auf Sergios Party wirklich alle so ahnungslos, wie sie das angenommen hatte, oder wussten sie über ihren Gastgeber Bescheid? War sie vielleicht die Einzige gewesen, die keine Ahnung gehabt hatte? Und doch erschien es ihr unmöglich, dass der Gouverneur, der Herausgeber des Time Magazine oder gar der Vorstand von LMI wissen sollte, was sie nun mit Gewissheit wusste. Alex kaute an ihrer Unterlippe und grübelte darüber nach, wie es ihr gelingen konnte, ihre Beziehung zu Sergio unauffällig abkühlen zu lassen, als es an der Glastür ihres Büros klopfte. Ihre Nerven waren so angespannt, dass sie hochfuhr, als ob man auf sie geschossen hätte.
»Hi, Alex«, es war Mark und er konstatierte erstaunt ihren erschrockenen Gesichtsausdruck, »ich habe hier die Unterlagen über Xiao-Ling Industries und Midway Porter.«
»Ja, danke«, Alex nickte geistesabwesend. Glücklicherweise konnte sie Sergio für acht Tage entrinnen, da sie zusammen mit John Kwai eine Geschäftsreise nach Fernost und Europa unternehmen musste. Bis sie zurückkehrte, würde
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