Unter Menschen
beobachtete Sam, der sich auf der Anrichte abstützte und mit der Fußspitze über den Boden tastete.
„Neill?“, fragte Bill.
„Hä, was?“ Neill sah auf.
„Was gibt’s denn Neues in der Welt?“, fragte Bill und hoffte, dass George bald zurück kam.
„Nur Schlechtes natürlich. Außer in meinem Horoskop! Hier! Sie haben einen erfolgreichen Tag vor sich. Gehen Sie die Dinge beherzt an und alles wird Ihnen gelingen. Ich bin Löwe.“
Neill lächelte, als ob man aus dieser Bemerkung Rückschlüsse auf was auch immer ziehen sollte. Bill hatte gute Lust, ihm den Kaffee über den Kopf zu gießen.
„Was bist du denn für ein Sternzeichen, Sam?“, fragte Neill.
Sam drehte sich um.
„Was?“
„Dein Sternzeichen. Was ist dein Sternzeichen? Ich kann in deinem Horoskop nachsehen, was dir heute alles noch blüht.“ Neill grinste.
„Was mir blüht?“, fragte Sam verwirrt und schaute aus dem Fenster zu den Blumenbeeten.
„Kennst du dein Sternzeichen etwa nicht?“, fragte Neill. Sam warf Bill einen hilfesuchenden Blick zu.
„Er ist Wassermann“, sagte Bill. Sam starrte ihn an, als wäre er plötzlich zu Stein geworden. In dem Moment betrat George die Küche.
„Ich habe mit Laine geredet. Sie packt schon fürs Schwimmbad. Alles klar bei euch?“ George sah von einem zum anderen und bemerkte Sams Gesicht.
„Was ist denn? Geht es dir gut?“ George klang sofort besorgt.
„Bill ... hat“, flüsterte Sam, „... hat mich gerade verraten ...“
Das Sprechen schien ihn größte Mühe zu kosten. Sam stützte sich an der Tischplatte ab. Er sah bleich aus.
„Na und?“, sagte Neill dazwischen. „Ist doch nicht schlimm. Kann ja nicht jeder ein Löwe sein. Der Wassermann ... Moment ... auf Sie warten heute große Neuigkeiten!“ Neill nahm noch einen Schluck Kaffee und George fasste Sam am Arm, um ihn hinauszuführen. Bill machte eine hilflose Geste und George winkte ab.
Als Sam und George außer Hörweite waren, legte Neill die Zeitung auf den Tisch.
„Was hat der eigentlich für ne Behinderung? Ist das geistig?“, fragte er und Bill brauchte zwei Sekunden, um die Frage zu verstehen.
„Er hat keine Behinderung“, antwortete er gepresst. „Pack lieber mal deinen Schwimmbadkram. Wir wollen gleich los.“
„Normal ist das nicht, wie der sich verhält. Vielleicht eine psychosoziale Störung.“ Neill griff wieder zur Zeitung.
„Du weißt ja nicht mal, was das ist“, knurrte Bill und schlüpfte in den Flur, um nach Laine zu sehen.
Sam saß neben George im Auto. Er hatte sich ein wenig beruhigt. Die Erklärung, dass es auch Menschen gab, die Wassermann als Sternzeichen hatten, verstand er zwar nicht ganz, aber er akzeptierte sie erst einmal. Jedenfalls schien es keine Gefahr zu sein, wenn Neill von seinem Sternzeichen wusste. Dass er in Wirklichkeit kein Sternzeichen besaß, wollte Sam geheim halten. Bill schien das auch nicht zu ahnen und es handelte sich offensichtlich um einen wichtigen Teil des Menschseins. Sam nahm sich vor, heute ein Sternzeichen zu kaufen und es bei passender Gelegenheit ganz selbstverständlich bei den Menschen ins Spiel zu bringen. George würde nicht verraten, dass das Sternzeichen neu war und so kam er unauffällig aus der Nummer raus. Er seufzte. Es gab für alles eine Lösung, man musste nur einen Weg finden.
Die Tür hinter ihm öffnete sich und Sam fühlte die leichte Erschütterung des Wagens, die bedeutete, dass eben jemand eingestiegen war. Er drehte sich um und sah in Neills lächelndes Gesicht. Dieses Lächeln irritierte ihn jedes Mal und Sam wusste nicht, wieso.
„Ihr fahrt mit Bills Wagen“, sagte George, der Neill über den Rückspiegel ansah.
„Nee, ist schon in Ordnung. Ich hab gesagt, ich fahre mit euch.“ Neill zog sich den Anschnallgurt über die Brust.
„Wir fahren zum Einkaufen“, sagte George.
„Bestens.“ Neill lächelte wieder irritierend. „Da bin ich dabei.“
Sam fühlte eine leichte Verzweiflung in sich aufsteigen. Er sah zu George hoch, der seinen Blick auffing.
„Neill“, begann George, als die Autotür wieder aufgerissen wurde.
„Los, Kumpel, Abmarsch“, sagte Bill. „Laine sitzt schon im Auto. Wo ist deine Tasche?“
„Fahrt ihr nur“, sagte Neill. „Ich begleite George zum Einkaufen.“
„Nein, du kommst mit uns“, sagte Bill bestimmt. „Wir machen uns ein paar schöne Stunden im Schwimmbad. Ich könnte mir vorstellen, dass du uns im großen Becken alle abhängst.“
Es sollte freundlich klingen,
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