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Unter Menschen

Unter Menschen

Titel: Unter Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabell Schmitt-Egner
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außerdem bin ich auch in der Familie. Ich bin Testsohn und Praktikant!“
    Er atmete schwer und sein Gesicht leuchtete rot. Neill hatte die Kamera im Zugriff.
    „Testsohn. Was für ein Schwachsinn. Du glaubst wohl, die adoptieren dich?“
    „George hat mich als Testsohn angenommen! Du kannst ihn fragen. Ist mir ganz egal, ob du das glaubst. Aber du bist kein Testsohn!“ Sam holte Luft und Neill fand, dass er aussah, als ob er ersticken würde. Wahrscheinlich bekam Sam jetzt gleich einen Anfall und damit kam dann Neills große Stunde.
    Sam konnte das Meer fühlen. Es schien ihn zu rufen. Er konnte sich kaum noch auf Neills Kommentare konzentrieren. Und er verstand nicht, warum Neill auf einmal so unfreundliche Dinge sagte. Auch wenn er nicht alle Wörter verstand, es war feindselig gemeint. Meerwasser berührte Sams Fuß und er sah nach unten. Der Meeresspiegel stieg an. Die Flut kam mit Macht und eroberte sich die Felsenlandschaft zurück, die sie für ein paar Stunden dem Land überlassen hatte. Sam seufzte, als eine weitere Welle seine Füße umspülte. Nichts war vergleichbar mit dem Gefühl, das Meer zu berühren. Das Wasser in seinem Schlafbecken wurde täglich aufgefrischt, aber wenn es aus den Kanistern floss, hatte es schon viel von der Kraft verloren, aus der Sam seine Energie schöpfte. Was das genau war, wusste er nicht und er schwieg den Cunnings gegenüber, damit sie sich nicht sorgten, aber im Meer, nur im Meer, konnte er wirkliche Kraft tanken. Er brauchte all seine Beherrschung, um sich nicht sofort in die Fluten zu stürzen. Er schloss die Augen und wartete auf die nächste Welle, auf das herrliche Gefühl, die Kühle, die freiheitsversprechende Wildheit des Wassers. Er wollte sich mit dieser Wildheit messen, in ihr schwimmen, den Wellen erlauben, ihn hin und her zu werfen, um dann wieder gegen sie anzukämpfen und schließlich zu siegen.
    „Hey!“
    Neills Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Das kleine Gerät in Neills Hand (der Fotoapparat?) richtete sich auf ihn.
    „Hast du Angst, Sam? Du hast Angst, dass Fische im Wasser sind, nicht wahr? Soll ich George anrufen?“
    Es klang immer noch nicht freundlich.
    „Lass mich!“, sagte Sam rau. Er musste jetzt etwas unternehmen. Der Drang, die Sehnsucht nach dem Wasser wurde zu stark. Lange konnte er dem nicht mehr widerstehen.
    Neill grinste und hielt die Kamera weiter auf Sam. Im Prinzip hatte er schon genug Material. Sam, der wegrannte; Sam, mit knallrotem Gesicht, der wie in Trance auf das Meer starrte, dann die Augen schloss und offensichtlich vor Angst gelähmt war. Neill bot ihm an, George anzurufen und Sam lehnte ab. Wunderbar. Neill beendete die Aufnahme, bevor Sam noch etwas sagte, was alles verdarb. Jetzt konnte er George anrufen und den Fokus neu einstellen. Vielleicht kam er sogar ohne diesen Beweis aus. Auch George wusste, dass Sam kein normaler Junge war.
    Neill drehte sich um und sprang auf den nächsten Felsen. Er musste die Straße erreichen. Das Münztelefon stand gleich neben der Bushaltestelle. Rauschend floss das Meerwasser an ihm vorbei. Seine Schuhe hatte es vorhin schon erwischt, aber das machte die Sache noch glaubwürdiger.
    „Ich habe ja versucht, ihn aufzuhalten ... sieh mich an, wie ich aussehe ... meine teuren Sneakers völlig durchweicht. Aber ist ja noch mal gut gegangen. Hauptsache, Sam ist nichts passiert.“
    Ja, das war brillant. Neill sprang und landete auf dem glitschigen Stein. Er glitt aus und sein Bein rutschte über den Felsen. Eine Welle rollte heran und riss ihn beinahe ins Wasser. Jetzt war auch noch seine Hose fast komplett durchnässt.
    „Shit!“, fluchte er und versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Die nächste Welle spülte über seine Füße und Neill konnte kaum die Balance halten. Die Flut kam so schnell! Er konnte von hier aus unmöglich abspringen, um die nächste trockene Stelle zu erreichen. Vielleicht ging es in der anderen Richtung. Er wartete jeweils, bis die Wellen sich kurz zurückzogen, dann hüpfte er flink über die Felsen zu Sam zurück. Vielleicht hätte er das Handy doch mitnehmen sollen. Das hier artete in elende Plackerei aus. Andererseits kam er dann in Erklärungsnot, warum er nicht vorher schon angerufen hatte. Sam stand immer noch auf dem Stein und ließ sich von der steigenden Flut umspülen. Er wirkte völlig weggetreten. Zum ersten Mal kam Neill die Idee, dass es für Sam wirklich gefährlich werden könnte. In seiner Gelähmtheit schien er nicht mehr

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