Unter Menschen
fühlte er sich unwohl, dass er sich diesem Menschen anvertrauen musste, aber es ging nicht anders.
Für George, dachte Sam, als sie zur Bushaltestelle liefen.
Für George.
Neill ließ Sam am Fenster Platz nehmen und setzte sich daneben, damit er nicht abhauen konnte. Der Kleine war unberechenbar in seinem Verhalten. Er starrte aus dem Fenster und Neill hörte ihn gelegentlich schwer atmen.
„Jetzt sag nicht, du hast auch noch Asthma“, sagte er zu Sam, der sich kurz zu ihm umwandte.
„Nein“, sagte Sam. „Ich hab gar nichts eingepackt. Brauchst du das Asthma jetzt sofort?“
„Vergiss es“, sagte Neill.
„Ich kann dir welches beim nächsten Einkauf mitbringen. Du musst nur dran denken, Asthma auf die Liste zu schreiben. George wird mich sicher wieder als Einkäufer einsetzen. Ich war schon recht gut“, sagte Sam.
Herrgott, hoffentlich schaffen wir es überhaupt bis zum Strand, dachte Neill. Sam war der merkwürdigste Junge, der ihm je begegnet war. Hauptsache, er bekam nicht schon vorher einen Anfall. Neill schwieg den Rest der Fahrt, um bei Sam nicht eine unkontrollierbare Reaktion auszulösen. Er sah auf die Uhr. Ein paar Minuten noch. Im Internet hatte er die Stelle sorgsam ausgewählt, zu der er Sam bringen wollte. Felsige Küste, kein Badestrand, einsam. Und ein Münztelefon in erreichbarer Nähe an der nächsten Straße. Von dort konnte er seinen besorgten Anruf tätigen. Das Handy lag zu Hause auf seinem Bett. So wirkte es, als sei er tatsächlich spontan aufgebrochen, ohne eine Möglichkeit, von unterwegs anzurufen.
„George? Hier ist Neill! Sam rennt alleine am Strand rum und ich glaube, er hat wieder einen Anfall ... ja, ja, natürlich halte ich die Stellung, bis du da bist! Bis gleich ...
Neill seufzte wohlig. Er liebte es, sich solche Szenarien auszudenken. Und dieses hier sollte bald Wirklichkeit werden.
Sams Herz schlug sehr schnell, als er aus dem riesigen, brummenden Bus stieg. Er war froh, dass er das Busfahren schon mal mit Laine geübt hatte. Das kam ihm jetzt zugute und die Angst vor dem riesigen Auto hielt sich in Grenzen.
Sam sog die Luft tief ein und roch das Meer. Fast hätte er gesirrt, aber in Neills Nähe durfte man das nicht. Den Rest des Weges hätte er blind finden können. Es zog ihn an und Vorfreude strömte in sein Herz. Sam lief los.
„Hey, Sam, warte! Renn nicht weg! Bleib hier!“, rief Neill hinter ihm. Es klang besorgt, fast ängstlich, wie Neill ihn rief. Sam warf einen kurzen Blick über die Schulter und sah den kleinen Apparat in Neills Händen. Wollte Neill hier Fotos machen? Er drehte sich um und rannte weiter.
Neill folgte Sam, der zielsicher zum Meer hinunter lief. Einen guten Take hatte er jetzt im Kasten. Die richtige Prise Besorgnis, Sam, der einfach weiterlief, als wolle er nicht auf Neill hören. Bestens. Er sah Sam über Felsen klettern. Er durfte ihm nicht entkommen.
Das Wasser floss und spritzte mit jeder Welle um die algenbewachsenen Steine herum. Sam kletterte über das glitschige Zeug und Neill begann sich zu wundern. Er hatte erwartet, dass Sam damit ein Problem hatte wegen seiner Fischphobie. Hier konnte es überall Fische geben, auch tote. Er folgte ihm, die Kamera im Anschlag. Nun war er froh, dass er sich für ein wasserdichtes Modell entschieden hatte, denn die Gischt spritzte immer wieder hoch und überzog alles mit einem feinen Sprühnebel.
Sam hielt inne und schaute über den Meeresspiegel. Neill erklomm ebenfalls den kleinen Felsen und stellte sich neben ihn.
„Danke, dass du mich hergebracht hast“, sagte Sam. „Kannst du mich heute Abend wieder abholen?“
Damit hatte Neill so gar nicht gerechnet und überlegte sich eine gute Antwort. Etwas Provozierendes am besten. Filmtechnisch war diese Stelle perfekt.
„George wird sauer sein, dass du abgehauen bist“, fing Neill an. Sie spielten wieder, aber diesmal eine heftige Partie. Sam schaute ihn erschrocken an.
„Aber ich gehe doch wieder nach Hause. Es ist nur wegen des Geschenks.“
„Was willst du denn hier für ein Geschenk suchen. Hier gibts doch nur Dreck.“
Sam wirkte verunsichert.
„Das stimmt nicht. Ich finde etwas Schönes für ihn.“
„Was Schönes? Weißt du, was schön für ihn wäre? Wenn er sich mal von dir erholen könnte. Du bist ganz schön anstrengend. Ich glaube, das beste Geschenk wäre, ihn an seinem Geburtstag in Ruhe zu lassen. Lass ihn doch mal mit seiner Familie feiern.“
„Ich lasse ihn feiern!“, rief Sam. „Und
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