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Unter Menschen

Unter Menschen

Titel: Unter Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabell Schmitt-Egner
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umlenken.
    Neill fand Sam in der Küche sitzend vor. Er hatte den Kopf in die Hand gestützt und vor ihm stand ein Glas Wasser. Neill hörte Vivian im Wohnzimmer räumen. Bestens. Er ging zum Kühlschrank, öffnete ihn und inspizierte den Inhalt. Dabei dachte er nach, wie er das Gespräch am besten eröffnen konnte. Beim Schach konnte die Eröffnung über Sieg und Niederlage entscheiden. Neill schloss den Kühlschrank und drehte sich herum, bereit für den ersten Zug.
    „Alles klar mit dir?“, fragte er. Sam blickte nur für einen Sekundenbruchteil in seine Richtung, dann starrte er wieder vor sich hin. Anscheinend war er mit den Gedanken woanders. Nächster Zug.
    „Hattest du grad Stress mit Vivian?“, fragte Neill weiter. Wieder nur ein kurzer Blick.
    „Tut mir leid, dass ich deine Blumen abgeschnitten habe. Ich wusste nicht, dass sie dir so wichtig sind.“
    Neill tat sich schwer, Sams Gesichtsausdruck zu deuten. Diese komischen grünen Augen verwirrten ihn.
    „Wenn ich was für dich tun kann, um das wieder gut zu machen, dann sag es mir. Ich würde mich echt besser fühlen, wenn ich da was tun könnte.“ Ganz kurz konnte er die Veränderung in dem Gesicht des blonden Jungen sehen, wie ein Aufblitzen. Neill beschloss, dieser Spur zu folgen.
    „Hast du ein Problem? Hat es was mit Vivian zu tun?“
    „Nein“, sagte Sam und nahm einen großen Schluck Wasser aus seinem Glas.
    „Womit dann?“
    „Will ich nicht verraten“, sagte Sam.
    Dämlich, dachte Neill. Der Junge besaß wirklich keinen Hauch von Raffinesse. Um so besser.
    „Du kannst es mir sagen. Ich verrate es keiner Menschenseele.“
    Sam sah ihn unsicher an.
    „Du kennst Menschenseelen?“
    Meine Güte. Am liebsten hätte sich Neill jetzt mit der flachen Hand vor die Stirn gehauen. Er riss sich zusammen und lächelte freundlich.
    „Ja, ich kenne welche. Aber ich würde es niemandem sagen. Es wäre ein Geheimnis. Als Wiedergutmachung für die Blumen, behalte ich dein Geheimnis für mich.“ Langsam kam das Spiel in Gang. In Sams Gesicht arbeitete es.
    „Das geht nicht. Und du bist kein Autofahrer“, antwortete Sam, aber Neill registrierte seine veränderte Körperhaltung. Er hatte ihn fast. Es war Zeit, einige Offiziere aufs Feld zu ziehen und Sam von allen Seiten einzukreisen.
    „Du willst also irgendwo hinfahren. Warst du deshalb am Gartentor? Ich wette, Vivian hat dir verboten, wegzufahren. Hab ich recht?“ Neill lauschte, aber Vivian beschäftigte sich wohl weiter im Wohnzimmer. Er hoffte, dass das so blieb. Wenigstens noch ein paar Minuten.
    „Nein“, sagte Sam. „Sie weiß gar nichts davon.“
    Du kleiner Idiot.
    Neill näherte sich Sam vertraulich, der ihn nun aufmerksam ansah. Er setzte sich neben ihn an den Tisch und beugte sich verschwörerisch zu ihm hinüber.
    „Wo musst du denn hin?“, flüsterte er ihm zu und hoffte, dass Sam jetzt nicht weglief oder bei Vivian petzte. Dann kam ihm ein Gedanke. Vielleicht war Sam auf Drogenentzug und versuchte heimlich, zu seinem Dealer zu gelangen. Diese Heimkinder waren doch alle auf Drogen.
    „Ich will zum Strand.“
    „Um jemanden zu treffen?“, fragte Neill, fast etwas zu begierig. Er musste sich vorsehen.
    „Nein, ich will ein Geschenk suchen. George hat morgen Geburtstag“, wisperte Sam.
    Neill hatte das dringende Bedürfnis, seinen Kopf auf die Tischplatte fallen zu lassen. Ohne Zweifel saß er gerade vor dem größten Einfaltspinsel der Nation. Unfassbar. Die Partie konnte er sich schenken. Wollte dieser verwirrte Heimknabe tatsächlich ein Stück stinkendes Strandgut nach Hause schleppen? Das war schon abartig.
    „Okay. Was hältst du davon, wenn ich mir was einfallen lasse. Ich sage dir dann Bescheid.“
    „Wir haben aber nicht mehr viel Zeit“, gab Sam zu bedenken. „Der Mittag ist schon vorbei.“
    In dem Moment betrat Vivian die Küche. Sie stutzte, als sie Sam mit Neill am Tisch sitzen sah.
    „Wir haben uns eben versöhnt“, sagte Neill schnell und klopfte Sam auf den Rücken. Vivians Blick drückte Unglauben aus und Neill reagierte sofort.
    „Komm, Sam. Ich zeig dir mal was Tolles, was ich von zu Hause mitgebracht hab.“ Er stand auf, nahm Sam am Arm und zog ihn hinter sich her. Anfangs fühlte er noch einen leichten Widerstand, dann gab Sam nach und folgte ihm die Treppen hinauf.
    In Gästezimmer schloss Neill die Tür und sah, wie Sam sich vorsichtig umschaute, als wäre er zum ersten Mal in dem Zimmer. Überhaupt fand Neill es komisch, dass Sam im

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