Unter Strom - ein Mira-Valensky-Krimi
Wertkartentelefon. Fran meldet sich nicht. Bruno ist bei ihm. Es kann ihm also nichts geschehen sein. Wirklich? Bruno ist unbewaffnet, üblicherweise reicht seine Erscheinung, um andere friedlich zu stimmen. Oskar versucht sein Bestes, um mich abzulenken. Aber weder sein Bericht über einen Kollegen, der in flagranti mit der Oberstaatsanwältin erwischt worden ist, noch der Versuch, eine Reise durch Italien zu planen, nützen viel. Tina Bogner hat eine Menge verschwiegen. Warum? Bloß weil sie nicht wollte, dass „PRO!“ und ihre Kampagne in Misskredit kommen? Worüber hat sie mit Zemlinsky in Frankfurt geredet? Habe ich ihn unterschätzt? Er hat in seinem hellen Sakko mit dem Stecktuch so lächerlich geckenhaft gewirkt. Wenn Gruber ihn bestochen hat und Zemlinsky Angst hatte, dass es ans Tageslicht kommt … Andererseits: Es sieht so aus, als wäre eine der drei Gestalten auf dem Video nicht ganz freiwillig mit dabei gewesen. Gruber? Und: Wer war dann im Sack? Oder was? Stopp. Zuerst einmal muss ich wissen, ob Fran mit den Umrissen, die zu einem großen dunklen, eckigen Geländewagen gehören dürften, etwas anfangen kann.
„Es ist schon nach eins, Mira. Wir sollten schlafen gehen“, sagt Oskar und gähnt.
Er hat ja recht. Ich muss schlafen und das Beste hoffen. Übermorgen ist Redaktionsschluss. – Ist das so wichtig? Es ist mein Job. Es ist mehr als das. Journalistin zu sein, ist Teil meines Lebens. Vesnas Kinder freilich sind mir wichtiger. Ich putze die Zähne, sehe im Spiegel ein Gesicht mit dunklen Ringen unter den Augen und einer geröteten Nase. Hoffentlich schläft Oskar schon. Ich sollte mich mehr um mein Äußeres kümmern. Die Haare gehören auch dringend geschnitten. Sie stehen struppig vom Kopf ab. Aber ganz anders als bei Carmen. Das, was ich auf dem Kopf habe, ist nichts, was man noch für eine flippige Frisur halten könnte. Ich pappe mir Nachtcreme auf die Haut. Du wirst älter, Mira. Es ist nicht aufzuhalten. Was für eine Erkenntnis. Ich versuche mich im Spiegel anzugrinsen. Schöner werde ich dadurch auch nicht. Aber wenigstens eine Spur fröhlicher. Was soll’s, ich bin am Leben. Ich bin gesund. Ich kann denken. Ich habe Menschen, die mich mögen. Und ich habe noch so einiges vor. Morgen.
Oskar atmet schon tief und fest, als ich zu ihm ins Bett krieche. Kurz überlege ich, ihn zu wecken. Dann drücke ich mich bloß ganz vorsichtig an ihn und hoffe, dass seine Ruhe auf mich abfärbt. Nicht Sex ist es, was ich jetzt brauche, sondern einfach das beruhigende Gefühl von Nähe. Und Wärme. Ich beginne zu schwitzen. Ich rolle mich ein Stück weg. Liege am Rücken, befehle mir, die Augen zuzulassen. Sehe vor mir Windräder mit immer größeren Rotorblättern, sie drehen sich regelmäßig, unerbittlich kommen sie näher, oder sind es Hubschrauber? Ich kann nicht fort von hier, gleich haben sie mich erfasst. Ich schrecke hoch. Sinnlos, liegen zu bleiben. Ich stehe auf, versuche so leise wie möglich zu sein. Ich gehe in unseren großen Wohnraum, schaue durch die Glasschiebetüren auf die Dächer des nächtlichen Wien. Was, wenn es wirklich nur ein paar wenige in der Hand haben, ob es bei uns Strom und Wärme gibt? Wenn sie dadurch weit mehr bestimmen können als bloß die Energiepreise? Ach was. Ich sollte der Propaganda nicht auf den Leim gehen. Keiner Propaganda. „AE“ ist kein böser Weltkonzern, sondern bloß das größte, ehemals staatliche Energieunternehmen im kleinen Österreich. – Und was ist „Pure Energy“? Ein aufstrebendes Unternehmen mit ehrgeizigen Managern. Auch da gibt es weltweit wohl mehr als ein paar.
Ich setze mich an den Laptop. Vielleicht hat mir Fran eine E-Mail geschickt. Nichts. „Cybersolar“ plant ein Picknick mit Musik. Wie bei den letzten Twitter-Botschaften wird darauf geachtet, dass es nicht nach offizieller Demonstration klingt. „Ich habe Lust, so um 18 Uhr bei der Gasstation Pointenbrunn zu picknicken. Vielleicht gibt’s Musik. Ein ‚Cybersolar‘-Freund. Ich freu mich, wenn ihr kommt.“ Ist ja nicht verboten – wenn es nicht zu laut wird. Und was kann man dafür, wenn noch andere Spaß an einem Picknick haben?
Morgen also in Pointenbrunn. Dort war ich schon einmal. Als sie versucht haben, eine Gasleitung zu sprengen. Allerdings eine, die noch gar nicht in Betrieb ist. Ein hübscher Ort. Weinhügel und Ölpumpen und eben eine Gasstation. Ob ich Christoph etwas davon sagen soll? Unsinn. Das Bundesheer ist wohl ebenso wie jeder in der Lage, die
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