Unter Strom - ein Mira-Valensky-Krimi
„Aber natürlich. Das ist Routine. Wir gleichen ihn immer ab.“
„Eigenartig …“, sage ich. „Ich habe ihm angekündigt, dass ich vorbeischauen werde, er hat gesagt, er sei sicher da. Es ist ja Plenarsitzung.“
„Er hat schon vier Termine verpasst“, sagt die junge Frau und seufzt.
Und wenn sie ihn einfach geschickt verleugnet? „Darf ich in sein Büro schauen?“
„Warum?“, kommt es mit piepsiger Stimme zurück. Entweder sie ist eine wirklich gute Schauspielerin oder sie ist tatsächlich ziemlich durcheinander.
„Ich kenne mich mit so etwas aus“, sage ich bloß, drücke die Türschnalle und stehe im Zimmer von Zemlinsky. Ich sehe mich um. Ein paar Schriftstücke auf seinem Schreibtisch, die Fotos dahinter. Das Bild mit Hummer und Schwarzenegger. Es ist verschwunden. An seiner Stelle ein Schnappschuss von einem kapitalen Hirsch. Tot. Dahinter eine fröhliche Jagdgesellschaft.
„Hat er seinen Hummer nicht mehr?“
„Mit dem fährt er nie ins Parlament. Es gibt immer welche, die sich über so ein Auto aufregen. Auch wenn es total umweltschonend ist. Eine Sonderanfertigung.“
„Das kann er sich leisten?“
Sie sieht mich erschrocken an. „Natürlich. Aber Sie dürfen kein Interview mit mir machen.“
Der Computerbildschirm ist eingeschaltet. Leider sehe ich nicht so weit. Ich gehe näher hin. Ein Tagesterminplan. Treffen mit einem Journalisten. Ich kenne ihn, der würde brav alles schreiben, was ihm der Vorsitzende des Energieausschusses erzählt. Treffen mit einigen Nationalratsabgeordneten …
„Das dürfen Sie nicht“, ruft die Mitarbeiterin.
„Ich versuche bloß, Ihnen zu helfen und herauszufinden, wo er geblieben sein kann.“
„Das geht nicht!“
Ich drehe mich um und lächle beruhigend. „Tut mir leid. Rufen Sie mich an, wenn er auftaucht?“ Ich strecke ihr eine Visitenkarte hin und sie nickt. Mir ist nichts, das ich auf dem Terminplan entziffern konnte, verdächtig vorgekommen. Auf der anderen Seite: Einen brisanten Termin würde Zemlinsky hier wohl kaum eintragen. Sieht so aus, als hätte er seine letzten Treffen tatsächlich verpasst. Kann er herausbekommen haben, dass wir von der Aktion beim Biomasseheizwerk wissen? Woher? Von Fran oder Vesna sicher nicht. Ist es möglich, dass Vesna seine Autonummer bei jemandem recherchiert hat, der ihn warnen konnte? Möglich, aber doch eher unwahrscheinlich. Zuerst ist Gruber verschwunden, jetzt ist Zemlinsky weg. Ich muss zu Tina Bogner. Aber ich sollte sie besser nicht allein treffen. Vesna. Wann meldet sie sich endlich?
Am Eingang tausche ich die Parlamentskarte gegen meinen Personalausweis und gehe hinaus auf den Wiener Ring. Bitterkalter Herbst. Das schöne Wetter scheint ewig lange her zu sein.
„Wo können wir Tina Bogner ungestört treffen?“ Diese SMS sende ich Fran.
„Wo bist du? Dringend!!!“ Das geht an seine Mutter.
Ich gehe den Ring entlang und warte auf Antworten. Ich bin zu nervös, um mich in eine Straßenbahn zu setzen. Ich weiß auch nicht, wohin ich als Nächstes soll. Viele Autos, dazwischen eine Pferdekutsche mit knipsenden Touristen. Sind sie aus China oder aus Japan? Eher aus China, tippe ich. Naturhistorisches Museum, Kunsthistorisches Museum. Riesenklötze mit etwas Grün davor. Ich habe es nicht so mit der Ringstraßenarchitektur. Es läutet. Fran ist dran.
„Tina Bogner ist gestern zu einer Besprechung nach Warschau geflogen. Die scheinen sich auch für unsere Konzepte zu interessieren.“
„‚Unsere‘? Bist du nicht allein?“
„Ich bin allein. Es ist trotzdem gut, was die machen. Ich hoffe nicht, sie glauben, ich will sie bloß bespitzeln.“
Ich gehe durch den Volksgarten, dann an Bundeskanzleramt und Hofburg vorbei. Alles altehrwürdig. Ein bisschen frischer Wind würde da nicht schaden. Ich grinse. Windräder auf dem Heldenplatz, Photovoltaikanlagen auf den Dächern des Bundespräsidenten. – Und was ist mit neuem Wind in den Köpfen? Helfen da Minianschläge, „Cybersolar“ oder eine Megakampagne?
Ich habe die U-Bahn genommen. Ich will in die Redaktion. Wieder das grausige Schnarrläuten meines Wertkartentelefons. Kein Wunder, dass ich nervös bin.
„Habe mit Detektiv geredet. Wo sehen wir uns?“
Ein Treffen in der Redaktion wäre momentan nicht so gut. Vesna ist die Mutter eines Hauptverdächtigen. „Espresso Uschi?“
Die abgelaufene Blondine hinter der Theke sieht mich heute schon freundlicher an. Offenbar hofft sie auf eine neue Stammkundin. Du liebe Güte. Ich
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