Unter Strom - ein Mira-Valensky-Krimi
einfach Pech gehabt. Ich habe vor nicht allzu langer Zeit eine Reportage über die Renovierungsarbeiten im Hohen Haus gemacht. Die Stellvertreterin des Parlamentsdirektors war sehr nett. Wenn ich sie anrufe … Es geht nur darum, dass mich die Sicherheitsbeamten ins Haus lassen.
Wenig später habe ich einen Tagesausweis. Ich habe Glück, heute tagt der Nationalrat. Also sollte auch Zemlinsky da sein. Viel mehr Menschen als beim letzten Mal sind unterwegs, Geschäftigkeit, Aktentaschen, Krawatten. Die stellvertretende Direktorin grüßt nach rechts und nach links. Wir gehen in die Cafeteria, ergattern gerade noch einen Tisch. Nicht alle Abgeordneten scheinen zuhören zu wollen, während einer von ihnen im Plenarsaal spricht. Offenbar ist kein besonders wichtiger Tagesordnungspunkt dran.
Ich stelle einige Fragen im Zusammenhang mit dem Umbau, danach plaudern wir noch ein wenig. Es soll nicht so wirken, als wäre ich mit einem anderen Ziel gekommen. Ich sitze auf Nadeln. Ist das dort drüben die Mitarbeiterin von Zemlinsky? Nein, ich habe mich getäuscht. Es gibt wohl einige, die ihr ähnlich sehen. Blass, schlank, strebsam. Ich sehe mich verstohlen weiter um. Hier ist der Energieausschussvorsitzende jedenfalls nicht. Es gibt allerdings noch einen zweiten Raum in der Cafeteria. Ein Schild weist auf die Exponate der laufenden Ausstellung hin. Irgendeine Hanne Walter darf sich hier präsentieren, genau kann ich den Namen nicht entziffern. „Ich bin sofort wieder da, ich möchte nur ganz kurz einen Blick auf die Bilder werfen. Ich kenne die Malerin.“
„Malerin? Sie stammen von Hans Walter.“
Mist, ich brauche schön langsam wirklich eine Brille. „Oh, sorry, hab ich ja gemeint.“ Ich stehe rasch auf, ernte einen irritierten Blick, gehe in den Nebenraum. Menschen, die miteinander reden, Kaffee trinken, Wasser, Cola. – Ist Alkohol hier verboten? Kein Zemlinsky. Die Bilder finde ich übrigens scheußlich. Halbkonkretes Zeug im Stil der Wiener Schule des Phantastischen Realismus. Dieser Hans Walter muss jede Menge Protektion haben. Ich sehe unsere Kellnerin, zahle und gehe zurück zum Tisch.
„Ist Alkohol an Plenartagen verboten?“, frage ich meine Begleiterin.
Sie lächelt. „Nein, aber es hat sich einiges geändert. Vor zehn, zwanzig Jahren haben die Abgeordneten einander nicht angeschwärzt, egal von welcher Partei sie waren. Jetzt ist das anders. Man kann das frühere System Packelei nennen, jedenfalls war es freundlicher. Jetzt stehen alle ununterbrochen unter Beobachtung. Es hat böse Medienberichte gegeben. Wer Alkohol trinken will oder es gar muss, tut es selten hier, quasi in der Parlamentsöffentlichkeit.“
Ich stehe auf. „Ganz herzlichen Dank für alles. Ich hab es schon ein bisschen eilig, ich hab schon bezahlt.“
„Das wäre aber nicht notwendig gewesen. – Soll ich Sie begleiten?“
„Oh, nein danke. Außerdem: Ich muss noch einen Sprung auf die Toilette …“
„Ja dann …“
Wir verabschieden uns voneinander und ich gehe rasch, bevor sie es sich noch anders überlegen kann, in die Säulenhalle. Neoklassizistischer Prunk in Marmor und Gold, für meinen Geschmack könnte man das Parlament auch abreißen und ein neues bauen. Wäre nicht viel teurer als der Umbau.
Ich muss mich konzentrieren: In welchem Gang war das Büro von Zemlinsky? Hier, nach den zwei hohen Flügeltüren, muss es gewesen sein. Ist es aber nicht. Da residiert offenbar der Finanzausschuss. Dann ist es wohl im spiegelgleichen Gang auf der anderen Seite der Säulenhalle. Ich durchquere das prächtige Mittelstück des Parlaments eilig, hoffe, dass mich keiner anspricht. Versuch Nummer zwei. Wer sagt es denn? Da ist das Büro, in dem ich vor gar nicht so langer Zeit schon einmal gewesen bin. Ich klopfe. Eine Frauenstimme ruft „Herein!“. Zemlinskys parlamentarische Mitarbeiterin sieht mich irritiert an. Das scheint einer ihrer Standardblicke zu sein. Ob ich bitte ihren Chef sprechen könne? Ich sei zufällig im Haus und hätte da noch ein paar Fragen. Sie schüttelt den Kopf.
„Wären Sie bitte so nett und würden Sie ihm sagen, dass ich da bin?“ Ich hoffe, das klingt noch freundlich genug.
„Es geht nicht.“
„Warum sollte es nicht gehen?“
„Er … er sollte seit in der Früh hier sein. Aber er ist nicht da.“
„Wo ist er?“
Seine Mitarbeiterin seufzt. „Das scheint keiner zu wissen. Nicht einmal seine Frau.“
„Haben Sie sich seinen Terminkalender angesehen?“
Sie sieht mich empört an.
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