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Unter Tage

Unter Tage

Titel: Unter Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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es uns bei der Lösung eines gefährlichen Problems.«
    »Was gehen mich Ihre Probleme an?«
    »In den letzten Jahren«, fuhr Rescor unbeirrt fort, »haben sich unter der Bevölkerung der sechs Unionsstaaten neurotische und psychotische Symptome seuchenartig verbreitet. Nervenzusammenbrüche, Verbrechen und unkontrollierte Ausbrüche von Gewalt beschäftigen Polizei und Ärzteschaft in einem Maß, daß der normale Ordnungs- und Gesundheitsdienst zusammenzubrechen droht.
    Offenbar macht sich der Schock der schon ein Jahrzehnt zurückliegenden Reaktorkatastrophe erst jetzt richtig bemerkbar. Während der Zeit der Entbehrungen, der Millionen Toten und Siechen und des Zusammenbruchs der Alten Ordnung verdrängten die Menschen noch das Grauen, den seelischen Schmerz, aber nun, wo alles vorbei ist und Ruhe und Ordnung eingekehrt sind, nun beginnen sie, den unterdrückten Schrecken zu fühlen.«
    Matuschek lachte humorlos. »Glauben Sie eigentlich, was Sie da sagen, Doktor Rescor?«
    Der Chefanalytiker runzelte indigniert die Stirn. »Sie meinen?«
    »Finden Sie nicht auch die Möglichkeit wahrscheinlicher, daß diese Welle neurotischer Erscheinungen nur die Reaktion der menschlichen Psyche auf eine unerträgliche, existenzbedrohende Situation darstellt? Daß nicht der Reaktorunfall, sondern die beklemmende politische Realität Ursache der krankhaften seelischen Veränderung ist?«
    Rescor lächelte überlegen. »Verzeihen Sie, daß ich das Gespräch wieder in seine ursprüngliche Bahn lenke, aber Ihre absurden Unterstellungen bringen uns nur vom Thema ab!«
    Er will es nicht hören! dachte Matuschek. Nicht hören, nicht sehen, nicht denken und nicht glauben! »Sie sind eine Maschine, Rescor«, stellte Matuschek nüchtern fest. »Sie reagieren nur auf Knopfdruck. Sie sagen nur das, was man Ihnen einprogrammiert. Ihr Kopf ist leer wie ein gelöschter Datenspeicher.«
    »Sie sind krank, Matuschek«, erwiderte Rescor. Er hielt den abgebrannten Zigarettenstummel unter den Wasserkran und wartete ohne Eile, bis ihn der dünne, trübe Strahl durchnäßt hatte. Er drehte sich um, erklärte: »Das Institut für Psychoforschung wurde von der Unionsregierung beauftragt, ein Mittel gegen die lawinenartig anwachsenden Krankheitsfälle zu finden.
    Das brachte Schwierigkeiten mit sich.
    Unsere Neue Psychiatrie steckt noch in den Kinderschuhen. Seelisches Fehlverhalten wurde bislang durch die Verabreichung von Psychopharmaka gedämpft. Solange die Zahl der Erkrankten niedrig war, halfen sie ausgezeichnet und erbrachten akzeptable Ergebnisse. Aber seit kurzen haben wir Millionen Patienten, die nur unter dem Einfluß von Drogen funktionieren und arbeiten können. Ein rapider Abfall der Produktionsziffern, ein kaum finanzierbarer Anstieg der Ausgaben der Medizinversorgung und eine Beeinträchtigung des Wirtschaftswachstums infolge Millionen ausgefallener Arbeitsstunden sind die Resultate.«
    »Mit anderen Worten«, ergänzte Matuschek gelassen, »Sie sind hilflos.«
    »Nicht ganz, Matuschek!« verbesserte Rescor. »Denn wir waren nicht untätig, und die Mittel, die uns zur Verfügung stehen, haben weitreichende Forschungsprojekte ermöglicht. Und eines dieser Projekte erscheint erfolgversprechend.«
    »Warum dann ein Experiment?«
    »Sehen Sie, Matuschek, Wahnsinn ist ein dialektischer Prozeß.
    Extreme Streßsituationen oder Schocks belasten das Bewußtsein, wirken auf das Unterbewußte und rufen dort verdrängte Ängste wach. Es entsteht ein enormer psychischer Druck, der auf das gesamte Körpersystem zurückschlägt und – je nach den spezifischen Inhalten der seelischen Belastung – bestimmte hormonelle Prozesse einleitet. Der Hormonhaushalt des Körpers verändert sich, was wiederum die Tätigkeit des Gehirns in Mitleidenschaft zieht.
    Kurz, Wahnsinn entsteht, wenn äußere Reize verdrängte Ängste, hervorrufen, deren psychischer Druck den Hormonhaushalt derart verändert, daß das Gehirn nicht mehr normal funktionieren kann.«
    »Verändern Sie die krankmachende Umwelt, dann heilen Sie auch die Kranken!« forderte Matuschek.
    »Der Schlüssel zur Lösung des Problems«, führte Rescor kühl aus, »liegt also in der Kontrolle des hormonellen Gleichgewichts. Verhindern wir beispielsweise eine Über- oder Unterproduktion von Seratonin oder Noradrenalin, verhindern wir auch seelisches Fehlverhalten!«
    Natürlich! dachte Matuschek deprimiert. Sie beseitigen nur die Symptome, nicht die Ursachen. Sie verdrängen, daß sozialer und

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