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Unter Tage

Unter Tage

Titel: Unter Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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ähnlichen antisozialen Elementen, verfiel er immer mehr einer lebensuntüchtigen Subkultur, deren hervorragendste Eigenschaften moralisches Chaos, Arbeitsscheu und politische Fantasterei waren. Nach der Katastrophe vor zehn Jahren und der dadurch bedingten Reorganisierung der Gesellschaft wurde bekanntlich jene Subkultur ausgemerzt; ihre unbelehrbaren Vertreter unterwarf man einer Umerziehung und verpflichtete sie – wenn nötig, zwangsweise – zur Mitarbeit.
    Die geistigen Schäden jedoch, die dem Patienten während seines Lebens in der Subkultur zugefügt wurden, sind offensichtlich irreparabel. Beispielsweise zeigten sein Psychodiagramm und sein Verhaltensmuster tiefgreifende Abweichungen von der staatlichen Norm. Von seinen ungesetzlichen Aktivitäten ganz zu schweigen!
    Der Patient Matuschek lehnt das normale, ruhige Leben des Staatsbürgers ab, weil er soziale Gesundheit, moralische Hygiene und geregelte Existenz niemals kennengelernt hat. Er empfindet sogar Furcht davor, flüchtet folglich immer tiefer in eine egozentrische Scheinwelt und paßt sein Leben ihren unwirklichen, nur für ihn gültigen Normen an.
    Ein derartiges Verhalten ist psychopathisch, potentiell staatsgefährdend und ein Hindernis für die Stärkung jener Neuen Welt, wie sie die Staatenunion verkörpert.
    Wie mein Kollege Doktor Persson sehe ich keine Möglichkeit einer Wiedereingliederung des Patienten Matuschek in die Gesellschaft!«
    Tribeaus Ausführungen, dachte Matuschek, waren noch um eine Spur skurriler. Für ihn stellte sich Geisteskrankheit als eine Abweichung von bestimmten sozialen Verhaltensweisen dar. Die Frage, ob nicht jene Normen selbst psychotisch oder psychopathisierend waren, weil die Bedürfnisse der Menschen von ihnen unterdrückt wurden, existierte für Tribeau nicht einmal als Gedankenmodell.
    Seelisch gesund, als das galten die Konformisten, die Schweigenden, Gehorchenden, Willfährigen, die Handlanger und Unterdrücker, die Jasager und Speichellecker, die Reichen, Mächtigen, Herrschenden, Besitzenden, die Satten.
    Matuschek bemerkte verblüfft, daß sich allmählich sein Blickfeld verringerte. Wurde er ohnmächtig; bewußtlos geputscht von -zig verschiedenen Drogen, von Wahrheitspillen und Energetika, von Tranquilizern und Hypnotika, Barbituraten und Amphetaminen?
    Irgendein schläfriger Winkel seines Gehirns spuckte eine vor langer Zeit gehörte Melodie aus, und sie kroch durch seine Ganglien, klimperte hinter seiner schweißtropfenden Stirn.
    Trimm dich frei mit Valium!
    Tribeaus Stimme war mittlerweile so leise und hohl geworden, daß Matuschek meinte, sie dränge aus dem billigen Lautsprecher eines weit entfernt liegenden Kopfhörers.
    »Um ein Fazit zu ziehen«, schmunzelte Rescor, der Chefanalytiker, »nach unseren Erkenntnissen leidet der Patient und Untersuchungshäftling Volkmar Matuschek an einer Fluchtpsychose mit paranoischen Symptomen. Da dieses krankhafte Verhalten vom Patienten Matuschek auf antistaatliche und antisoziale Weise ausagiert wird und eine Heilung dem Analytischen Komitee Drei des Instituts für Psychoforschung aussichtslos erscheint, kann eine Rückkehr des Patienten Matuschek in die Öffentlichkeit nicht befürwortet werden.«
    Die schwarzen Ränder rechts und links von Matuscheks Augen flossen honigzäh ineinander, blendeten seinen Blick, badeten die Pupillen in völliger Finsternis. Die Schwäche in seinen Gliedern war frostig, und der bohrende Schmerz in seinem Kopf war heiß und glühend.
    Niemals hätte Matuschek vermutet, daß Vergessen so langsam und schmerzhaft sein konnte. Und damit, irgendwann, verstummten seine Gedanken.
     
    *
     
    »Ihr letzter Situationsbericht hat im Präsidialpalast eine gewisse Unruhe hervorgerufen.
    Man vermißt eine optimistische, richtungsweisende Grundhaltung. Man fragt sich, ob der immense Etat des Instituts für Psychoforschung wirklich nur dazu ausreicht, Schwarzmalerei und Fatalismus zu verbreiten.
    Im Vertrauen, der Minister für Sicherheit plädiert dafür, das Personal einer Überprüfung zu unterziehen; Sie verstehen?«
    »Bisher hielt ich es für meine Aufgabe, die Regierung sachlich zu informieren. Ich wußte nicht, daß man nur positive Daten verlangt, Koordinator.«
    »Selbstverständlich legt die Regierung Wert auf Fakten, doch sie erwartet auch Lösungen oder zumindest Lösungsvorschläge, Strategien und Pläne.«
    »Lösungen? Vorschläge? Strategien? Wofür? Wie man verhindern kann, daß auch in Zukunft die Zahl der Geisteskranken

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