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Unter Trümmern

Unter Trümmern

Titel: Unter Trümmern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Heimbach
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dabei tief inhalierend. Selbst die Füße der sechs Männer hatten ihr rhythmisches Aufstampfen eingestellt. Koch sah zu ihnen herüber, wollte sie zwingen ihn anzuschauen, dabei versuchte er sein leichtes Humpeln zu kaschieren. Das Handicap war seine Sache, das ging sie nichts an.
    Langsam ging er an den sechs stummen Männern vorbei, seine Schritte hallten überlaut durch den Flur. Noch immer sahen sie zur Seite, bis auf einen, der jüngste unter ihnen, semmelblond, schmächtig wie die meisten Männer in seinem Alter, nicht älter als zweiundzwanzig, wie Koch schätzte. Er nickte ihm zu, der Junge grüßte ebenso stumm zurück, mit einer verhaltenen Kopfbewegung.
    Die Reaktion folgte auf den Fuß, der junge Mann wurde mit Blicken getadelt, einer der fünf anderen stieß ihn mit der Hand an die Schulter.
    Das sah Koch schon nicht mehr, aber er spürte die Blicke in seinem Rücken. Sechs Augenpaare, die ihm folgten und beobachteten, wie er an der Tür von Gerhard Reuber, zuständig für Raub- und Schwarzmarktdelikte, klopfte und auf das „Herein“, das Sekunden später dumpf von drinnen ertönte, die Tür öffnete.
    Das Zimmer, in das er trat, hatte sich erfolgreich gegen die Versuche, es wohnlich zu gestalten, gewehrt. Die Tapeten, die die Wände einmal geziert hatten, waren eingerissen und ausgebleicht, Fotos mit Stadtansichten des Vorkriegs-Mainz ohne all die Zerstörungen waren unregelmäßig und scheinbar planlos aufgehängt worden. Der Schreibtisch bestand aus einer Holzplatte, die über zwei Metallkästen gelegt worden war. Eine schwarze Lampe mit einer nackten Birne spendete ein wenig Licht. Es roch feucht und muffig und der kleine Ofen in der Ecke kam kaum gegen die Kälte an. Das schmale Fenster war beschlagen.
    Der Mann hinter dem Schreibtisch hatte sich bei Kochs Eintritt erhoben und musterte ihn. Am auffälligsten war sein Schnurrbart, dicht, seine Oberlippe fast ganz verdeckend und so dunkel, dass Koch vermutete, dass er ihn gefärbt hatte – womit auch immer in dieser Zeit. Er wusste, dass Reuber fünfundfünfzig Jahre alt war und im Krieg nur knapp einem Todesurteil entkommen war. Eine natürliche Autorität ging von dem Mann aus.
    Koch wunderte sich, dass der Mann mindestens einen Kopf kleiner war als er selbst. Untersetzt, aber nicht dick. Eher hatte er etwas von einem Boxer, einem jener Typen, mit denen man sich nicht anlegte, weil man wusste, dass sie einige Schläge einstecken konnten, ohne zu Boden zu gehen.
    Er betrachtete Koch aus seinen graublauen Augen.
    „Koch, nicht wahr?“, grüßte er und verzog seinen Mund zu einem spöttischen Lächeln und fügte „War ein Spießrutenlauf, hier rauf zu mir?“ an. Es klang wie eine Feststellung. Es wusste wohl schon jeder über ihn Bescheid.
    Koch nickte. Mit einer Geste bat Reuber ihn Platz zu nehmen.
    „Keiner wird gerne mit der anderen Möglichkeit konfrontiert“, sagte er. „Besonders, wenn man es mit vermeintlichen Vaterlandsverrätern zu tun hat. Ich sage Ihnen, bald werden die Ersten alles nicht mehr so schlimm finden und die alte Zeit herbeisehnen.“
    Koch nickte und erwiderte nichts. Dieser Reuber war ihm nicht unsympathisch, er schien geradeheraus zu sein, ein Charakterzug, den er in den letzten Wochen, seit er in Mainz und wieder im Polizeidienst war, nicht oft kennen gelernt hatte. Alle waren viel zu sehr mit sich beschäftigt und mit ihrer Angst, dass doch etwas ans Tageslicht kam, das man ihnen vorhalten könnte.
    Wenigstens in dem Punkt brauchte Paul Koch keine Angst zu haben. Aber genau da lagen die Probleme mit den Kollegen und er wusste, dass er keinen verdammten Schritt auf sie zu machen würde. Dafür hatte er zu viel gesehen und erlebt. Auch und vor allem am eigenen Leib.
    „Wie gefällt Ihnen Mainz?“, fragte Reuber, ohne den spöttischen Unterton zu verlieren. Ihn schien es nicht zu stören, dass Koch noch kein einziges Wort gesagt hatte.
    „Gut“, antwortete Koch.
    „Sie kennen es ja.“
    Koch nickte. „Sie haben sich gut informiert“, stellte er nach einer Pause fest.
    „Es ist gut zu wissen, mit wem man es zu tun hat“, erwiderte Reuber. „Aber ich nehme an, dass Sie es ebenso halten.“
    „Kann man mir das verdenken? Mir ist es wichtig zu wissen, wo der andere steht. Respektive: stand.“ Koch sah sein Gegenüber direkt an.
    „Ist in dieser Zeit eines jeden Mannes Recht“, konterte Reuber und Koch versuchte zu erraten, wie viel Spott dieses Mal in seinen Worten lag.
    „Brunner“, sagte Koch

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