Unter Trümmern
schließlich und beugte sich vor. „Sie kennen Helmut Brunner?“
„Kann man so sagen. Was haben Sie mit ihm?“
„Letzte Nacht wurde ein Warendepot in Bodenheim überfallen. Ein Wachmann kam um, einer der Einbrecher, Franz Hartmann, konnte schwer verletzt gefasst werden. Zwei sind geflüchtet.“
Reuber nickte. „Ich habe davon gehört.“
„Mein Fall. Mord. Dieser Hartmann, der gefasst wurde, arbeitet für Brunner. Sie haben ein Auge auf ihn, habe ich erfahren. Dieser Überfall war ja auch nicht der erste dieser Art gewesen.“
Reuber wiegte seinen Kopf hin und her. Er ließ sich absichtlich Zeit, wollte sehen, wie sein Gegenüber darauf reagierte.
„Und?“, fragte dieser ungeduldig. Reuber spürte, dass sich der Mann beherrschen musste.
„Ja. Wir haben Brunner schon länger im Visier. Bisher nichts.“
„Was meinen Sie? Könnte er hinter den Überfällen stecken?“
Reuber zog eine der Schubladen seines Metallschrankes auf, entnahm ihr eine Zigarettenpackung, fummelte eine Kippe raus, steckte sie an und hielt die Packung Koch entgegen. Der machte eine abwehrende Handbewegung, worauf Reuber die Packung zurück in das Schränkchen warf und die Schublade zustieß. Er wartete, bis der Hall des Schepperns in dem fast leeren Raum verklungen war und inhalierte tief.
„Brunner ist schlau. Und hat beste Verbindungen. Auch zu den Franzosen. Bis jetzt haben wir ihm nichts nachweisen können.“
„Was arbeitet er?“
„Er hat eine Baufirma, die jetzt mit Aufräumarbeiten beschäftigt ist. Hatte schon sein Vater. Als der kurz vor dem Krieg verstarb, hat der Sohn sie übernommen. Damals waren an die zwanzig Leute beschäftigt, jetzt sind es etwa sechs oder sieben. Ich nehme an, dass zumindest ein paar von denen auch seine krummen Dinger drehen. Aber nachweisen konnte ich ihm bislang nichts.“
„Hausdurchsuchung, Razzia?“
Reuber zog zweimal tief und vernehmlich an seiner Zigarette und stieß den Rauch aus, bevor er antwortete.
„Eine. Gegen heftigsten Widerstand. Natürlich wurde nichts gefunden. Ich habe mir ganz schön was anhören müssen. Einen ehrenwerten Mann so in Verruf zu bringen. Rufmord. Die ganze Klaviatur. Wie gesagt, Brunner hat beste Kontakte.“
„Kontakte?“, stieß Koch hervor und beugte sich nach vorne. „Wird er gewarnt?“
Reuber zuckte mit den Schultern, zog ein letztes Mal an seiner Zigarette, bevor er sie in einem verformten Metallstück, das ihm als Aschenbecher diente, ausdrückte.
„Ich fürchte ja, aber beweisen kann ich nichts. Brunner spendet, Brunner hilft den Armen, hat großzügig für die Ausgebombten gegeben. So jemanden behandelt man mit Samthandschuhen. Apropos ausgebombt: Wo sind Sie denn untergekommen?“
„Zahlbach“, antwortete Koch einsilbig, stand auf und ging einige Schritte in dem Raum auf und ab.
„Diese Dreckskälte“, kommentierte Reuber. „Soll noch eine Zeit lang so weitergehen. Kommt immer dann, wenn man es sowieso nicht gebrauchen kann. Ich fürchte, dass die Ernte in diesem Jahr auch mager ausfallen wird. Mal sehen, wie lange die Leute ruhig bleiben. Kein Dach überm Kopf, nichts zu beißen und dazu die Kälte. Bei unseren Nachbarn ist vor zwei Tagen das Kind gestorben. Unternährung, Krankheit und aus.
Koch nickte, wartete, sah Reuber an. „Und schimpfen auf die Amerikaner und die Franzosen, statt die wahren Schuldigen zu sehen.“ Seine Stimme klang scharf.
„Wollen Sie es ihnen verübeln?“, fragte Reuber zurück, ruhig und milde. „Zwölf Jahre belogen und betrogen worden zu sein – sich das einzugestehen, ist nicht leicht.“
„Mag sein, aber all die Toten, die sie auf dem Gewissen haben, werden davon auch nicht lebendig. Die Menschen hier und jetzt, sie leben immerhin.“
Reuber spürte die Verbitterung.
„Sie waren in Spanien, habe ich gehört. Internationale Brigaden.“
Kochs Gesichtszüge verhärteten sich noch mehr.
„Wo finde ich Brunner?“, fragte er.
„Gonsenheim. Jahnstraße. Nähe Breite Straße, die ehemalige Kaiserstraße. Großes Haus.“
„Nicht zerbombt?“
Reuber schüttelte leicht seinen Kopf. „Wer in Gonsenheim wohnte, hat Glück gehabt. Ist so gut wie nicht von Bomben getroffen worden. Alles intakt. Aber …“
„Ja?“, hakte Koch nach.
„Sein Glück muss man auch zu schätzen wissen. Jetzt regen sich so manche der Leute dort auf, dass sie die Ausgebombten aus der Stadt aufnehmen sollen.“
„Menschen“, kommentierte Koch und Reuber erschrak ein wenig über die Verachtung, die
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