Unter Trümmern
dem Tuch, das sie sich um den Kopf geschlungen hatte, schauten graue Haare hervor.
„Ja, bitte?“, fragte sie missmutig, aber ihre Augen musterten den Mann an der Tür neugierig.
„Paul Koch. Ich möchte Herrn Brunner sprechen.“
„In welcher Angelegenheit?“
Er war überrascht, dass diese Frau, die ihm eine Hausangestellte zu sein schien, so selbstbewusst auftrat.
„Das muss ich Herrn Brunner selbst sagen.“
„Da muss ich …“, setzte sie streng an, wurde aber von einer klaren und sonoren Stimme unterbrochen.
„Schon gut, Klara, lassen Sie den Herrn herein.“ Klara schien es zu bedauern, das Spiel nicht noch weiter fortsetzen zu können. Bewusst langsam trat sie zur Seite und ließ den Mann an sich vorbei ins Haus treten.
Koch säuberte seine Schuhsohlen auf einer Matte, bevor er auf den hellen Marmor trat, der den gesamten Boden des Eingangsbereichs bedeckte. Das Erste, das er bemerkte, war der Duft. Es roch nach Essen. Nach einem gut gewürzten Essen, nicht nach den billigen Gerichten, die um diese Zeit bei den meisten Menschen auf dem Tisch standen, zusammengezaubert aus dem Wenigen, das gerade verfügbar war. Koch zog den Duft tief in die Nase ein. Wild, schätzte er. Dabei sah er sich schnell um. Gediegener Wohlstand. Alte, dunkelbraune Möbel, Photographien an den Wänden, die Häuser zeigten, Villen, Industriebauten, Mehrfamilienhäuser. Von der hohen Decke hing ein mehrarmiger Leuchter herab. Nur zwei der Glühbirnen brannten.
Ein Mann, dem man ansah, dass er Wert auf sein Äußeres legte, trat vor Koch und streckte seine Hand aus.
„Helmut Brunner“, stellte er sich während des Händeschüttelns vor. Ein sehr fester Händedruck, wie Koch feststellte. „Was kann ich für Sie tun?“
„Paul Koch, Kommissar. Ich habe ein paar Fragen an Sie.“
„Kommen Sie!“, forderte Brunner seinen Besucher auf, drehte sich um und ging auf eine der Türen zu. Klara nahm Kochs Mantel und Hut entgegen und folgte dem Mann.
Er hatte sich Brunner anders vorgestellt. Untersetzt, schwerfällig, irgendwie dem Unternehmerklischee entsprechend. Aber der Mann war groß, schlank und man sah seinen geschmeidigen Bewegungen an, dass er körperlich in Form war. Er trug einen blauen Anzug, darunter ein weißes Hemd, ohne Krawatte. Die kurz geschnittenen Haare waren an den Schläfen grau, mit Haarausfall schien der Mann keine Probleme zu haben. Unwillkürlich fuhr sich Koch mit der Hand über den Kopf, wo sich sein Haar langsam, aber sicher zu lichten begann. Vor zwei Jahren, kurz nach seinem vierzigsten Geburtstag, hatte er dies das erste Mal festgestellt.
In dem Zimmer standen ein braunes Ledersofa und zwei ebensolche Sessel auf einem dicken dunkelroten Teppich, vor der Wand drei Vitrinen, die auf Koch einen wertvollen Eindruck machten. Hinter einer der Glastüren konnte er Mützen erkennen, Fastnachtsmützen. Der Kommissar kam sich vor wie in einer fremden Welt. Draußen die Kälte, der Hunger, die Armut, und hier drinnen schien das alles nicht zu existieren.
Brunner hatte Kochs Blick bemerkt. „Eine Leidenschaft von mir, die ich von meinem Vater geerbt habe. Fastnachtsmützen.“
Koch musste unwillkürlich an Reuber und dessen Einladung zur Fastnachtssitzung denken. Obwohl er in Mainz aufgewachsen war, war ihm dieser Brauch fremd geblieben. Vielleicht auch, weil sein Vater, der Kommunist, Veranstaltungen wie die Fastnacht für ein Narkotikum hielt, mit dem das Kapital die Menschen betäubte.
„Nehmen Sie Platz! Darf ich Ihnen etwas anbieten? Einen Cognac?“
Bei aller Freundlichkeit, mit der Brunner ihn fragte, spürte Koch doch, dass in der Frage eine doppelte Provokation lag: das Zur-Schau-Stellen seines Reichtums und das Warten auf die Reaktion des Polizisten.
„Gerne“, sagte der und beobachtete den Mann, wie er aus einer der beiden Vitrinen eine Flasche und zwei Schwenker nahm, die er jeweils zwei Finger breit füllte.
„À votre santé“, sagte Brunner, dehnte den Trinkspruch und sah Koch dabei prüfend in die Augen.
Er hat schon Informationen über mich und lässt mich das wissen, überlegte er, ließ sich von seinen Gedanken nichts anmerken, lächelte leicht und stieß an.
„Ihr Wagen?“, fragte Brunner und zeigte zu dem Fenster, das zur Straße führte.
Koch schüttelte den Kopf. „Dienstwagen.“
„Arme Polizei, dass sie sich mit solch schäbigen Fahrzeugen behelfen muss. Aber ich werde ungerecht, merke ich. Was führt Sie zu mir, Herr Kommissar?“
„Franz Hartmann. Sie
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