Unter uns Pastorentoechtern
worden.
Das wurde offensichtlich, als sie uns die Tür des Pfarrhauses öffnete, das ideal zwischen der Kirche und dem öffentlichen Friedhof gelegen war. Mrs. Llewellyns Willkommenslächeln war wie ein silberner Teller auf einem Sarg.
Der Tee wurde im großen Eßzimmer an einem Tisch serviert, der offensichtlich aus dem Refektorium eines Klosters stammte. Wir drei setzten uns in einiger Entfernung voneinander hin. Die Unterhaltung bereitete einige Mühe. Flaggenwinken wäre ein geeigneteres Mittel der Kommunikation gewesen.
Nach einer kargen Mahlzeit aus Frühstücksfleisch, gekochten Kartoffeln und Sauerkraut, gefolgt von pfarrhausgemachten Milchbrötchen, die mit einem Kratzer Margarine gesalbt wurden, führte mich der Pfarrer in sein Arbeitszimmer, eine finsteres Gewölbe von einem Raum. Dutzende von Bücherregalen bedeckten die Wände, und der Geruch von Möbelpolitur erfüllte das Zimmer. Ich wurde zu einem Ledersessel geleitet, dem Mrs. Llewellyn offenbar gerade frisch ihre hausfrauliche Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Er fühlte sich kalt an meiner Rückseite an. Der Pfarrer setzte sich an einen großen Schreibtisch, hinter dem er fast meinem Blick entschwand.
Schweigen herrschte. Allmählich begann ich mich sehr unbehaglich zu fühlen. Plötzlich sprang er mich an wie ein Gestapo-Offizier, der mit seiner Beute spielt.
„Welche Gebete benutzen Sie am Krankenbett?“ fragte er.
Ich war sprachlos. Mein früherer Pfarrer war Experte in Beerdigungen gewesen, hatte sich aber an Krankenbetten selten blicken lassen. Und wenn er schon jemanden besuchte, der krank war, unterhielt er sich wohl eher über Rugby mit ihm als über den Seelenzustand des Kranken.
„Ich fürchte, ich habe noch nie mit Kranken gebetet“, stammelte ich.
„Noch nie?“ donnerte er mich an.
„Ich — ich fürchte nein.“ Ich machte mir Sorgen um seinen Blutdruck. Er war violett angelaufen.
„Sie sind seit achtzehn Monaten Vikar und haben noch nie mit Kranken gebetet.“ Der Kanonikus konnte es nicht fassen.
Ich hielt es für ratsam zu schweigen.
„Am Montag nachmittag“, sagte er, „werden Sie mit mir Hausbesuche machen. Wir werden sowohl die Kranken als auch die Gesunden besuchen.“
Dann kam das nächste Schweigen.
Der alte Mann war ungefähr so gesprächig wie ein Trappistenmönch. Er betrachtete die Zimmerdecke, während ich in Gedanken mit der Möglichkeit liebäugelte, ihm aus der Pfanne gesprungen zu sein. Doch dann flog die nächste Inquisitionskugel auf mich zu.
„Predigen Sie nach Notizen oder mit einer voll ausformulierten Predigt?“
Ich hatte befürchtet, daß er mir diese Frage stellen würde. Mehr aus Faulheit als aus dem Bestreben, den Blickkontakt zu meinen Zuhörern zu halten, hatte ich in letzter Zeit angefangen zu predigen, ohne auch nur einen Fetzen Papier vor mir zu haben. Mein erster Pfarrer hatte keine Einwände gegen meine Predigtmethode erhoben, solange ich in der Lage war, auf die Kanzel zu steigen und eine Viertelstunde lang irgend etwas zu sagen. Es war offensichtlich, daß mein neuer Dienstherr höhere Ansprüche stellte.
„Ich habe anfangs — äh — nach Notizen gepredigt, aber — äh — in letzter Zeit habe ich überhaupt keine Vorlage benutzt.“
„In Ihrem Alter, ganz ohne Notizen?“ bellte er.
„Wenn Sie es wünschen, Herr Pfarrer“, fuhr ich rasch fort, „werde ich selbstverständlich Notizen oder eine voll ausformulierte Predigt anfertigen.“
„ Wenn ich es wünsche? Natürlich wünsche ich, daß Sie Ihre Predigt aufschreiben. Bringen Sie Ihre Predigt für nächste Woche fertig formuliert mit, wenn Sie am Montag morgen herkommen. Inzwischen werden Sie morgen um elf ohne Notizen in St. Padarn’s predigen müssen. Zur Abendandacht werden Sie hier in der Pfarrkirche die Liturgie leiten, und ich werde predigen.“
Inzwischen kam ich mir vor wie ein Schuljunge, der seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte, und nicht wie ein selbstbewußter Vikar, der gerade mit dem Zug von Swansea hergekommen war.
Während ich noch spekulierte, wie die nächste Prüfungsfrage wohl lauten würde, sprang der kleine Mann auf und sagte: „Nun, Sie sollten jetzt besser Ihr Quartier beziehen. Ich bringe Sie zu Mrs. Richards. Am Montag morgen werden wir uns ausführlich unterhalten.“
Wir machten uns auf den Weg über graubraune Terrassenhänge zu einer Straße, die sich „Mount Pleasant View“ nannte — „Schöne Bergsicht“. Etwas weniger Schönes läßt sich kaum vorstellen. Es
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