Unter Verdacht
und schaute durch. Nichts. Sie kletterte kurzentschlossen über den kleinen Gartenzaun und ging um das Haus.
»Frau Candela?«
Karen schreckte herum. Sachs stand hinter ihr.
»Was machen Sie denn hier?« fragte Karen.
»Dasselbe wollte ich Sie gerade fragen.«
»Ich . . . ich wollte Frau Drechsler besuchen.« In Karens Kopf wirbelten die Gedanken. Sie musste Sachs loswerden.
»Und dazu klettern Sie über den Zaun?«
»Vorn hat niemand aufgemacht. Ich dachte, ich schau mal nach.«
»Ist wohl sehr dringend, Ihr Besuch?«
Karen schwieg. Sachs wartete. Dann räusperte er sich. »Frau Drechsler hat heute eine sehr hohe Summe bei ihrer Bank abgehoben. Deshalb bin ich hier. Ich denke, dass das mit Gregors Flucht zusammenhängt. Ich habe die ganze Zeit überlegt, warum Frau Drechsler Gregor Geld geben sollte. Und jetzt tauchen Sie hier auf. Was hat das nun wieder zu bedeuten? Erklären Sie mir das. Ich verstehe es nicht.«
Erklären? Das war genau das, was sie nicht tun konnte. Auf gar keinem Fall. Jedenfalls nicht die Wahrheit. Karen überlegte fieberhaft. Wie konnte sie Sachs’ Misstrauen beseitigten und ihn dann noch einsehen lassen, dass seine Anwesenheit hier völlig überflüssig war?
»Frau Drechslers Sohn hat mich angerufen«, begann Karen mit möglichst überzeugender Stimme zu erklären. »Er kennt mich durch sein Praktikum in meiner Firma. Er befürchtet, seine Mutter ist durch die Ereignisse der letzten Wochen nervlich sehr angeschlagen, um nicht zu sagen geistig verwirrt. Sie erzähle immer etwas von einem . . . einem Anruf. Ihr Mann sei entführt worden. Die Entführer haben angeblich verlangt, dass sie mir heute Abend das Lösegeld übergibt. Ich solle es dann in ein Schließfach am Hauptbahnhof legen und den Schlüssel an eine Postfachadresse senden.« Karen wartete einen Moment, um die Wirkung ihrer Worte auf Sachs zu ergründen. Dann fuhr sie fort: »Deshalb bin ich gekommen. Ich wollte mit Frau Drechsler reden, versuchen, sie zu beruhigen.«
»Mir schien Frau Drechsler bis dato eher gefasst«, sagte Sachs nachdenklich.
Karen suchte verzweifelt nach einer Erwiderung. Zum Glück erinnerte sie sich an einen kürzlich gelesenen Zeitungsartikel. »Posttraumatisches Syndrom, Schock nach dem Schock«, erwiderte sie schnell.
Sachs nickte daraufhin. »Möglich wäre es schon.«
»Das erklärt zumindest, warum sie das Geld von der Bank geholt hat«, meinte Karen. »Was denken Sie?«
»Ja. Ist eine einleuchtende Erklärung. Aber wenn man Sie erwartet, warum macht dann keiner auf?« fragte Sachs.
Karen zuckte mit den Schultern. »Ich versuche es einfach noch einmal«, schlug sie vor. »Vielleicht haben sie es nicht gehört.«
»In Ordnung. Ich warte hier«, sagte Sachs.
»Das ist doch nicht nötig. So wie der Sohn den Zustand seiner Mutter schilderte, braucht sie höchstens einen Arzt, keinen Kriminalisten«, versuchte Karen Sachs abzuwimmeln.
»Sie vergessen Gregor. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er hier auftaucht. Ich habe da so eine Ahnung.«
»Warum sollte er das tun? Es wäre doch wohl klüger, wenn er so schnell wie möglich untertaucht.«
»Sie haben recht. Und trotzdem . . .« Sachs war nicht dazu zu bringen, zu seinem Wagen zu gehen.
»Also gut«, gab Karen nach. Sie wollte nicht Sachs’ Misstrauen wecken, indem sie zu sehr auf sein Verschwinden bestand. »Ich werde dann noch einmal klingeln.« Karen ging zurück zur Haustür.
Bitte macht auf, flehte sie inbrünstig, während sie klingelte. Doch wieder tat sich nichts. Karen wurde unruhig. Sylvia war in Gefahr! Sie musste etwas unternehmen! Karen klopfte. »Frau Drechsler?! Herr Drechsler! Hier ist Karen Candela. Bitte öffnen Sie!« rief sie dabei. Es musste jemand im Haus sein. Schließlich wurde Gregor erwartet. Da hörte sie Geräusche hinter der Tür. Es wurde geöffnet.
»Frau Candela?« Überrascht sah Frau Drechsler auf die junge Frau.
»Guten Abend, Frau Drechsler. Ich muss etwas sehr Wichtiges mit Ihnen besprechen. Darf ich hereinkommen?« fragte Karen. Sie sprach sehr leise, damit Sachs sie nicht hören konnte.
»Im Moment ist es leider sehr ungünstig. Ich . . . ich habe . . .«
»Gregor wird nicht kommen«, unterbrach Karen sie schnell. Sie trat rigoros in den Flur. »Es dauert etwas, Ihnen das zu erklären.«
Frau Drechsler schloss hinter Karen die Tür. »Woher wissen Sie?« fragte sie erschrocken.
»Gregor hält meine Freundin fest. Er erpresst uns. Ich soll Geld von Ihnen abholen,
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