Unter Verdacht
Es hat keinen Sinn, sich weiter den Kopf zu zerbrechen. Es wird sich schon alles aufklären«, beendete Karen das Ganze rigoros. Sylvia konnte nach den Aufregungen des Abends nicht mehr erkennen, dass Karen lediglich Zweckoptimismus verbreitete. Denn innerlich war sie bei weitem nicht so gelassen, wie sie sich den Anschein gab.
9.
D er Mittwoch begann hektisch. Eigentlich wollte Sylvia gleich früh mit der Ausarbeitung ihres Referates für die bevorstehende Konferenz in Wien beginnen. Doch dann musste sie kurzfristig die Vorlesung eines Kollegen übernehmen. Anschließend hatte sie zwei reguläre. Dann war es auch schon Mittag.
Nach einer Mahlzeit in der Mensa fand sie endlich Zeit, das Referat zu beginnen.
Im vergangenen Jahr hatte Bauer von der Konferenz, die damals in Paris stattfand, die Anregung zu einem Kooperationsprogramm mit einer italienischen Universität in Rom mitgebracht. Danach nahmen die talentiertesten Studenten der Universitäten an einem Austauschprogramm teil. Sylvia sollte dieses Jahr über den interaktiven Austausch, die gewonnenen Lehrerfahrungen und Forschungsergebnisse berichten. Einerseits freute Sylvia sich über die Gelegenheit der Kommunikation mit Kollegen aus allen Teilen Europas. Andererseits waren damit natürlich eine Menge Vorbereitungen verbunden.
Gegen fünfzehn Uhr sah Sylvia auf die Uhr. Zwei Stunden intensiver Arbeit lagen hinter ihr. Sie war ein erhebliches Stück vorwärtsgekommen. Allerdings hatte sie in der letzten Viertelstunde kaum noch wirklich Gehaltvolles hinzugefügt, mehr gestrichen als geschrieben. Sie beschloss für heute aufzuhören.
Aus dem Faxgerät schob sich ein Blatt. Sylvia griff danach. Eine Nachricht von Reeder. Seit einer Woche hatte er nichts von sich hören lassen. Scheinbar erwog man bei der Mercura ernsthaft, den Auftrag anderweitig zu vergeben. Sylvia überflog die Zeilen. »Bla bla bla, bla bla bla . . . stimmen wir trotz vom Ziel abweichendem Endtermin dem Terminplan zum Projekt zu! Starttermin: sofort!«
Sylvia ließ das Fax auf den Schreibtisch fallen. Natürlich sofort, was sonst, dachte sie und rief Karen an, um ihr die Nachricht zu übermitteln. Sie verabredeten sich auf einen Kaffee.
Karen rührte still in ihrer Tasse. Sylvia betrachtete sie aufmerksam. Gestern Abend war Karen ruhig und ausgeglichen. Jetzt schien sie bedrückt. Verständlich, wenn man ihre Lage bedachte.
»Ich möchte Sie um etwas bitten, Sylvia«, unterbrach Karen Sylvias Gedanken.
»Dann tun Sie es doch einfach«, ermunterte Sylvia sie.
»Andererseits weiß ich nicht so recht, ob ich Sie das wirklich fragen soll.« Karen schwankte.
»Nun machen Sie es nicht so kompliziert. Wenn ich Ihnen helfen kann, werde ich es tun.«
Karen zögerte. Das war es ja, was sie befürchtete und andererseits auch hoffte. Sie kämpfte mit ihrem Gewissen. Eigentlich wollte sie Sylvia unbedingt aus allem raushalten; so wie die Dinge lagen, war dies jedoch praktisch unmöglich.
»Also?« Sylvia blickte Karen abwartend an.
»Gut«, erwiderte diese und verdrängte ihre Gewissensbisse. »Ich weiß, dass Sie gegenüber der Mercura nicht ruhigen Gewissens verschweigen können, was ich Ihnen gestern Abend erzählt habe«, begann Karen. Sie holte tief Luft, bevor sie weitersprach. »Ich möchte Sie bitten, aber die Entscheidung liegt natürlich ganz bei Ihnen . . .«
Sylvia unterbrach Karen. »Ich glaube, ich weiß, was Sie bedrückt. Und Sie haben völlig recht. Meine Pflicht ist es, die Mercura zu informieren, dass es zu Schwierigkeiten im Projektablauf kommen könnte, weil ›Candela & Partner‹ im Moment ein sehr unsicherer Geschäftspartner ist.« Ja, das ist es, und das solltest du auch tun! Aber ich kann es nicht. Ich kann nicht Wellen erzeugen, wo ihr das Wasser ohnehin schon bis zum Hals steht. Sylvia hatte die halbe Nacht wach gelegen und darüber nachgedacht. Entschlossen fuhr sie jetzt fort: »Aber ich werde über die Angelegenheit Stillschweigen bewahren. Ich habe diese Entscheidung bereits getroffen, und sie ist endgültig.« Sylvia versuchte ihrer Stimme einen möglichst sachlichen Ton zu verleihen, als sie jetzt zur Erklärung ansetzte. »Ich sage Ihnen auch, warum ich mich so entschieden habe. Wir haben gemeinsam gekämpft, miteinander und auch gegeneinander, bis wir uns über das Konzept des Projektes einig waren. Wir haben bei der Mercura einen Ablaufplan durchgesetzt, der diese in den folgenden Monaten ins Schwitzen bringen wird, denn wir waren nicht bereit, auf
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