Unter Verdacht
selbst darauf gekommen?«
Genaugenommen hätte sie das wohl müssen, dachte Sylvia, schon bei der Geburtstagsfeier von Karens Vater, wenn sie nicht so sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen wäre. »Es tut mir leid, ich will wirklich keinen Unfrieden stiften. Doch Ihre Freundin, Miriam, hatte es sehr eilig, mich davon in Kenntnis zu setzen, dass Sie fest mit ihr – na ja – liiert sind«, antwortete Sylvia verlegen.
»Bitte was?!« Jetzt war es an Karen, überrascht zu sein.
»Als wir neulich allein in Ihrem Büro waren, erzählte sie mir, dass Sie beide ein Paar sind.« Sylvia schaute an Karen vorbei. Es war ihr peinlich.
»Das müssen Sie falsch verstanden haben!« Karen schüttelte den Kopf.
»Glauben Sie mir, das war nicht falsch zu verstehen«, versicherte Sylvia. Der Ärger über Miriams Arroganz wurde wieder lebendig. Er ließ sie ihre Unsicherheit vergessen. »Miriam sagte, Sie beide seien, ich zitiere: mehr als gute Freundinnen .«
»Und? Weiter?«
»Und es war unmissverständlich herauszuhören, dass sie mich davor warnte, Sie ihr abspenstig zu machen. Ich weiß nicht, wie sie darauf kam!«
Karen sah Sylvia forschend an. »Waren Sie sehr schockiert?«
»Oh ja, ich fand Miriam sehr schockierend!« sagte Sylvia jetzt lachend. Dann wurde sie gleich wieder ernst. »Und was die andere Sache betrifft – haben Sie den Eindruck?« Zu Sylvias eigenem Erstaunen war sie jetzt völlig ruhig und blickte Karen in die Augen.
Karen lächelte. »Nein, den habe ich nicht. Und ich bin sehr froh, dass es so ist.« Sie trank von ihrem Kaffee. »Warum haben Sie mir nicht von dem Gespräch mit Miriam erzählt?«
Sylvia zuckte mit den Schultern. »Was hätte ich sagen sollen: Gestatten Sie eine Frage: Sind Sie lesbisch? – oder Finden Sie nicht, dass Ihre Freundin einen Knacks hat? «
Karen lachte laut bei der Vorstellung. »Zugegeben, es war wohl etwas pikant.«
»Na ja«, fuhr Sylvia fort. »Und ist es da verwunderlich, wenn ich nervös bei dem Gedanken werde, dass dieser Drachen vielleicht erfährt, dass Sie mir den Nacken massieren?« Sie war erleichtert, nun Karen gegenüber doch noch eine harmlose Erklärung für ihre Überreaktion von vorhin gefunden zu haben.
»Nein. Das ist es nicht.« Karen seufzte resigniert. »Es tut mir leid, dass Miriam Sie so überfahren hat. Wie soll ich Ihnen das erklären? Wir waren tatsächlich für kurze Zeit zusammen. Und Miriam betrachtet mich wohl immer noch als ihr Eigentum. Deshalb ihre Aggressivität. Leider will sie nicht akzeptieren, dass unsere Trennung nicht rückgängig zu machen ist. Ich hoffe nur, sie wird Sie in Zukunft in Ruhe lassen.«
»Keine Sorge, ich bin nicht aus Watte«, beruhigte Sylvia Karen.
»Das weiß ich wohl. Dennoch, Miriam kann manchmal sehr – belastend sein.«
Sylvia grinste schief. »Ja, das habe ich bemerkt.«
14.
D er erste Konferenztag lag hinter Sylvia. Sie genoss den einzigen freien Abend in Wien und schlenderte durch den alten Stadtteil. Ein Sammelsurium aus kleinen Straßen, Gässchen und Höfen. Dennoch wirkte das Ganze absolut nicht versteinert, da eine Vielzahl von Restaurants und Bars, gefüllt mit Menschen, dieses Gebiet zu einem lebendigen Mittelpunkt des Wiener Abends machten.
Sylvia stand jetzt vor dem Stephansdom – ein imponierendes Bauwerk mehrerer Jahrhunderte. Das Prospekt in ihrer Hand klärte sie über die Details der Bauperioden auf und verwies auf die ebenfalls Jahrhunderte umfassende Kunstsammlung im Inneren. Sylvia trat durch eines der offenen Portale hinein. Eine phantastische Fülle architektonischer und künstlerischer Leistungen alter Zeiten erwartete sie. Erst das Rumoren ihres Magens holte Sylvia in die Gegenwart zurück und erinnerte sie daran, dass ihre letzte Mahlzeit circa acht Stunden zurück lag. Sie verließ den Dom durch den Haupteingang.
Sylvia musste nicht lange suchen, bis sie ein bezauberndes, informelles Café und Teerestaurant fand. Der hübsche Hofgarten lud zur kleinen Zwischenmahlzeit geradezu ein. Die Menükarte war hier nicht sehr groß, beinhaltete aber neben traditionellen Wiener Gerichten wie Tafelspitz auch leckere Fischgerichte sowie Sandwichs und Backwerk.
Sylvia bestellte sich Zander, dazu den weißen Hauswein. Während Wortfetzen Wiener Dialektes von den Nachbartischen zu ihr hinüberflogen, schweiften ihre Gedanken ab zu Karen.
Was hatte diese junge Frau nur an sich? Ein Blick von ihr, eine zufällige Berührung oder ein harmloses Kompliment brachten sie,
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