Unter Verdacht
nicht gerade freundlich.
Der Mann lachte nur verstehend. »Ich liege also richtig.«
»Und? Wollen Sie sich als Tröster anbieten?« erwiderte Karen zynisch. Sie fühlte sich gestört. Warum konnte sie hier nicht einfach an der Bar sitzen, ohne gleich angemacht zu werden? Warum war jede Frau, die allein irgendwo saß, für Männer eine Aufforderung zum Blödquatschen?
Karen stand brüsk auf, bezahlte und verließ die Hotelbar.
Als sie auf dem Weg zu ihrem Zimmer an Sylvias Tür vorbeikam, verlangsamte sie ihren Schritt. Sollte sie . . .?
Karen drückte vorsichtig auf die Klinke. Die Tür ging auf. Sylvia war nicht zu sehen. Karen hörte das Geräusch von laufendem Wasser aus dem Bad. Sie durchquerte den kleinen Eingangsbereich, ging zum Fenster und wartete dort, an das Fensterbrett gelehnt, dass Sylvia aus dem Bad kam.
Das Wasser wurde abgedreht. Kurz darauf kam Sylvia, nur mit einem dünnen Hemd und Slip bekleidet, ins Zimmer. Erschrocken blieb sie stehen, als sie Karen so plötzlich vor sich sah. Sylvia erkannte sofort, dass Karen nicht ganz nüchtern und zudem aufgeladen war.
»Ich möchte mit dir reden«, sagte Karen fest, automatisch zum Du übergehend.
»Worüber?« wich Sylvia aus.
»Du weißt genau, worüber.«
Sylvia hatte jetzt ihren ersten Schreck überwunden. »Klopft man vorher nicht mehr an?« versuchte sie abzulenken.
»Das habe ich«, log Karen einfach. »Du hast es nicht gehört, weil du im Bad warst.«
»Also gut. Was willst du?« fragte Sylvia kurz angebunden.
»Warum weichst du mir in letzter Zeit aus? Ist es dir unangenehm, mit mir zusammen zu sein? Dann sag es. Ich kann einen meiner Mitarbeiter mit dem Projekt betrauen.« Karens Stimme klang traurig.
Sylvia sah Karen entsetzt an. Glaubte sie das? Glaubte sie, ihre Nähe war ihr unangenehm? Natürlich! Was sonst soll sie denken, so wie du dich ihr gegenüber verhältst? Aber dem war ganz und gar nicht so.
»Es ist mir doch nicht unangenehm, mit dir zusammen zu sein«, beteuerte sie.
»Dann solltest du wohl in der Lage sein, wie ein erwachsener Mensch mit mir umzugehen.«
»Das tue ich doch. Ich brauche nur etwas mehr . . . Abstand.«
»Abstand«, wiederholte Karen tonlos und nickte. »Verdammt! Warum habe ich nur meinen vorlauten Mund nicht halten können? Es ist jetzt alles so anders, so kompliziert.« Sie war kaum noch zu verstehen, so leise sprach sie. »Du ziehst dich zurück. Seit unserem Gespräch an dem Morgen, wo ich gesagt habe, dass wir längst miteinander geschlafen hätten, wenn . . . ich ein Mann wäre.«
»Wahrscheinlich ist es jetzt anders, weil ich denke, dass du recht haben könntest.«
»Dann frage ich noch einmal: Was wäre so schlimm daran?«
Karen tat einen Schritt auf Sylvia zu, nahm sie vorsichtig in den Arm. Sie senkte ihren Kopf und wanderte mit dem Mund zärtlich Sylvias Hals entlang. Kosend streichelte ihre Zunge Sylvias Haut.
Die Berührung traf Sylvia so unvorbereitet, dass ihr die Kraft fehlte, sich zu entziehen. Sie fühlte jetzt Karens Hand unter ihrem Hemd den Rücken entlangstreichen. Sylvia erschauerte.
»Karen, bitte! Du bist betrunken«, wehrte sie schwach ab.
»Ich bin keineswegs betrunken«, flüsterte Karen an ihrem Ohr.
Sylvia stöhnte auf. Karens Lippen berührten jetzt die ihren. Sie fühlten sich so gut an, so weich, so richtig! Und nicht nur ihre Lippen. Karens ganzer Körper, der sich gerade dicht an ihren drängte. Sylvia konnte die unterdrückte Sehnsucht nicht länger verleugnen. Ohne darüber nachzudenken erwiderte sie Karens Kuss.
»Sylvia!« flüsterte Karen erregt.
Das brachte diese wieder zur Besinnung. Als hätte sie sich an einer Flamme verbrannt, wich sie zurück.
Karen löste sich. Mit ernsten Augen schaute sie Sylvia an. »Ich müsste jetzt wohl sagen, dass es mir leid tut, aber das wäre gelogen. Und ich hatte auch nicht gerade den Eindruck, dass es dir unangenehm war.«
Sylvia seufzte. »Ich möchte das jetzt nicht diskutieren.«
»Warum nicht?« erwiderte Karen stur. Sie wollte sich nicht abwimmeln lassen.
»Du bist nicht in der Verfassung für eine Diskussion.«
»Das ist eine Ausrede, und das weißt du, Sylvia. Du solltest lieber mal darüber nachdenken, warum du mich gerade geküsst hast. Und sage nicht, ich hätte dich gezwungen.« Damit verließ Karen das Zimmer.
Das Frühstück am nächsten Morgen verlief schweigend, und auch während des Rückfluges wechselten sie nur die Worte, die nötig waren. Karen wechselte zum »Sie« zurück, und
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