Unter Verdacht
lasse mir nur eine Kleinigkeit auf mein Zimmer bringen.«
»Bekomme ich nicht einmal die Chance, mich zu bedanken?« fragte Karen leise.
»Das ist nicht notwendig. Ich habe nichts getan«, schwächte Sylvia ab.
»Nein. Sie haben nur dafür gesorgt, dass mir nicht der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Danke.« Karen strich mit ihrer Hand über Sylvias Arm. »Dann sehen wir uns morgen zum Frühstück?«
»Ja.« Sylvia wusste, ihr Verhalten musste abweisend wirken, aber sie konnte es nicht verhindern. Sie flüchtete auf ihr Zimmer.
Ein paar Bahnen kraulen in der Schwimmhalle des Hotels würde sie die unangenehme Besprechung des Nachmittags vergessen lassen. Karen suchte den Badeanzug aus der Reisetasche, legte ein großes Badetuch um ihre Schulter und nahm den Zimmerschlüssel.
Die Schwimmhalle war zu dieser Zeit nur wenig besucht. Die meisten der Hotelgäste saßen wohl jetzt beim Abendessen. Karen sprang kopfüber ins Wasser und schwamm mit kräftigen Bewegungen durch das Becken. Als sie am anderen Ende des Bassins herauskletterte, um erneut hineinzuspringen, sah sie Sylvia in einem der Liegestühle. Da Sylvia sich den Stuhl abseits hinter die Palmenpflanzen gezogen hatte, war sie Karens Blick beim Hereinkommen entzogen gewesen. Sylvias Augen waren geschlossen. Ob sie schlief? Karen zögerte. Sollte sie hinübergehen?
Noch bevor Karen darüber nachdenken konnte, was richtig oder falsch war, stand sie bei Sylvia. Unter Karens Blick begann Sylvia sich in ihrem Liegestuhl unruhig hin und her zu drehen. Sie öffnete die Augen.
»Hallo.« Karen versuchte gelassen zu wirken.
»Hallo«, erwiderte Sylvia überrascht. Sie errötete, als sie sich der Knappheit ihres Bikinis bewusst wurde. Wie lange stand Karen schon hier und sah auf sie nieder?
»Habe ich Sie gestört?« fragte Karen.
Sylvia schüttelte den Kopf. »Auf meinem Zimmer habe ich einfach keine Ruhe gefunden. Es ist so anonym. Hier ist es wenigstens – nicht so abgeschlossen.«
Karen, deren Handtuch auf der anderen Seite des Bassins auf einem der Stühle lag, begann zu frösteln. Eine Gänsehaut bildete sich auf ihren Armen. Sylvia reichte ihr eines ihrer Handtücher.
»Danke.« Karen strich leicht Sylvias Hand, als sie das Handtuch nahm. Sylvia zog die Hand schnell zurück. Trotzdem reichte die Berührung aus, dass eine Ameisenarmee über ihren Rücken lief.
Karen entging Sylvias hastige Reaktion nicht. »Alles in Ordnung?« fragte sie und kam sich irgendwie lächerlich dabei vor. Fällt dir denn nichts Originelleres ein als so eine banale Frage? Und dass du dastehst wie ein verschüchterter Teenager, passt genau dazu.
»Ja. Alles in Ordnung«, sagte Sylvia.
Karen nickte.
»Vielleicht . . .«, Karen zögerte. »Wollen Sie es sich mit dem Abendessen nicht noch einmal überlegen?«
»Warum?« Sylvias Stimme klang zurückhaltend.
»Damit Sie etwas essen natürlich.« Karen gelang die Rückkehr zu ihrer gewohnten Gelassenheit.
In Sylvias Gesicht erschien ein flüchtiges Lächeln. In diesem Augenblick herrschte die alte Vertrautheit zwischen ihnen. »Ja, natürlich.« Gleich darauf wurde Sylvia jedoch wieder ernst. »Aber ich habe wirklich keinen Hunger.«
»Hm«, machte Karen nur.
»Ich . . . ich werde wieder auf mein Zimmer gehen.« Sylvia stand auf und langte nach ihren Sachen. Karens Nähe machte sie zunehmend unruhiger.
»Wegen mir müssen Sie nicht.«
Aber wegen mir, dachte Sylvia verzweifelt. Sie roch den Duft von Karens Haaren. Nicht zum ersten Mal war sie versucht, sich an sie zu lehnen. Tu es doch einfach, sagte etwas in ihr. Unmöglich, wehrte ihr Verstand ab. Eilig verließ sie die Schwimmhalle.
Karen ging zurück zum Schwimmbecken und sprang kopfüber ins Wasser. Sie schwamm bis zur Erschöpfung. Nach dem Duschen und Umkleiden entschloss sie sich, noch einen Gin Tonic an der Hotelbar zu nehmen. Das würde ihr die notwendige Bettschwere geben.
Durch das Schwimmen ausgepumpt und immer noch ohne Abendessen merkte Karen die Wirkung des Alkohols sofort. Mit der lakonischen Feststellung, dass ihr Gemütszustand ein wenig Aufmunterung vertragen konnte, bestellte sie sich einen zweiten Drink und ein paar Chips dazu. Stoisch stopfte sie sich einen nach dem anderen in den Mund.
»Sie sehen aus, als hätten Sie Ärger mit Ihrem Freund«, hörte sie plötzlich eine dunkle Stimme neben sich. Karen musterte den Mann, der sich neben sie auf einen der Barhocker setzte.
»Schon wieder so ein Tiefenpsychologe«, blaffte Karen
Weitere Kostenlose Bücher