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Untergang

Untergang

Titel: Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari , Aus dem Französischen von Christian Ruzicska
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vorstellt, wie er selbst die Waffe gegen den Besatzer ergreift. Anfang Februar begann ein Unbekannter, vereinzelte italienische Soldaten zu töten, Woche um Woche, mit gnadenloser Regelmäßigkeit. Man fand die Leichen zurückgelassen im Schlamm, jeweils nahe eines umgestürzten Motorrads, auf den Bergstraßen im Radius von einigen Kilometern rund um das Dorf. Sie waren mit Bleikugeln niedergestreckt worden, manche auch mit einem Messerstich in die Gurgel erledigt und ausgeblutet wie Schweine, einige waren mehr oder weniger entkleidet und allen auf furchtbare Weise die Schuhe ausgezogen worden. Die Schuhe blieben unauffindbar und es war dieses doch eher harmlose Detail, das den Köpfen Respekt und Schrecken einjagte, als gäbe sich der Mörder einem Ritual hin, das umso grauenerregender da unnachvollziehbar war, und man flüsterte einander zu, dass die Widerstandskämpfer nichts damit zu tun hätten, dass dies das Werk eines rätselhaften Partisanen sei, unbestechlicher Bote des Todes, mitleidslos und einzig wie der Erzengel des Herrn der Heerscharen. Mit Ausnahme von Sébastien Colonna, dessen Geringschätzung der Italiener weitgehend ihr Gegengewicht fand in seiner Bewunderung für Mussolini und in seiner irrationalen und leidenschaftlichen Unterwerfung unter die Autorität, mit Ausnahme von ihm wollten alle jungen Männer des Dorfes dem Widerstand beitreten und gleichfalls furchterregende Schlächter werden und Kämpfer im Namen der Gerechtigkeit. Die Untätigkeit war ihnen inzwischen unerträglich. Sie trafen sich, um zu besprechen, was sie tun könnten, sie zogen in Erwägung, Verräter und Kollaborateure zu liquidieren, der Name von Sébastien wurde sogar genannt, aber Marcel verteidigte dessen Sache voller Wärme und erinnerte, dass er noch nie jemandem wehgetan habe. Sie erwirkten schließlich ein nächtliches Zusammentreffen oben in den Bergen mit einer Gruppe von Mitstreitern und verließen das Dorf gegen ein Uhr nachts, sie zogen, getragen vom Enthusiasmus ihrer kriegerischen Jugend, gemeinsam durch die kalte Nacht, doch als sie die Schule hinter sich hatten, hörten sie plötzlich den Klang rhythmisch gesetzter Schritte, die sich, nur einige Dutzend Meter weiter oberhalb von ihnen, ihrer Richtung näherten, und sie rannten zurück ins Dorf, erreichten ihren Stützpunkt, um schlagenden Herzens das Vorbeiziehen der italienischen Patrouille zu erspähen, welche sie nie zu Gesicht bekamen, da sie vor dem Widerhall ihrer eigenen Schritte, zurückgeworfen von der eisigen Stille der Nacht, geflohen waren. Die Scham überwältigte sie. Sorgsam gingen sie einander aus dem Weg, um ihrer Schande nicht ins Auge blicken zu müssen. Im Frühling hörte der rätselhafte Mörder auf, von sich reden zu machen, und niemand konnte sagen, ob er ums Leben gekommen war oder ob er nicht wieder den himmlischen Aufenthalt eingenommen hatte in Erwartung der Apokalypse. Das Rätsel wurde erst während des Aufstands im September gelöst, der sich für Marcel mit einem Auf- und Abgehen hier und da in den Straßen des Dorfes erschöpfte, ein unnützes Gewehr in den Händen. Ange-Marie Ordioni kam aus der oberhalb des Waldes von Vaddi Mali gelegenen Schäferei heruntergestiegen, in der er mit seiner Frau das wilde Leben eines jungsteinzeitlichen Jägers führte. Er hatte italienische Schnürstiefel und eine Militärjacke an, von der er die Abzeichen und Litzen abgerissen hatte. Mitten im Winter hatte sein einziges Paar Schuhe begonnen, sich aufzulösen, es war ihm nicht möglich, es zu flicken, und Geld, sich ein neues zu kaufen, hatte er keines. Er fand es nur allzu natürlich, sich am Besatzer zu bedienen, nur hatte er Zeit gebraucht, ein Paar in seiner Größe zu finden, denn trotz seiner Statur eines Höhlenmenschen besaß er lächerlich kleine Füße. Ein Verantwortlicher der Nationalen Front brüllte, dass er ein Schwachkopf sei und er ihn auf der Stelle erschießen müsste, aber Ange-Marie schaute ihn kalt an und antwortete ihm, er täte besser daran, zu schweigen. In den Bergen, da brauche man gute Schuhe. Die französischen Streitkräfte kamen im Dorf an, die Goumiers lachten und tranken, sie sangen auf Arabisch in den Straßen, Marcel betrachtete verblüfft ihre rasierten Schädel, die lange, zum Zopf gebundene Strähne, die ihnen über den Nacken hing, die sarazenische Krümmung ihrer Messer, und Sébastien sagte zu ihm, schau mal, wie unsere Befreier aussehen, Mauren und Neger, es ist immer das Gleiche, die Barbaren bieten

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