Untergang
hängend, der schwermütig lächelte, als wüsste er bereits, dass er den neuen Krieg nicht überleben sollte, der sie schon alle belauerte. Denn jenseits der Wand der Berge, jenseits des Meeres befindet sich eine Welt in Wallung, und dort geschieht es, fernab von ihnen, ohne sie, dass sich ein weiteres Mal ihr Leben entscheidet und ihre Zukunft, und so war das schon immer. Aber die Gerüchte aus dieser Welt verlieren sich auf offener See, lange bevor sie zu ihnen dringen, und die Echos, die Marcel erreichen, sind so fern und wirr, dass es ihm nicht gelingt, sie ernst zu nehmen, und er zuckt verachtend mit den Schultern, als sein Freund Sébastien Colonna im Hof der Schule von Sartène es wagt, ihn mit seinen Maurras’schen Schwärmereien zu begeistern und von der Dämmerung einer neuen Zeit zu sprechen, der Wiedergeburt des Vaterlandes, das die Juden und die Bolschewiken in den Ruin getrieben hätten, und Marcel sagt zu ihm, aber was erzählst du da nur? Du hast doch noch nie in deinem Leben einen Juden oder Bolschewiken gesehen!, und zuckt dabei verachtend mit den Schultern, denn er kann einfach nicht glauben, dass man sich derart für die nebulöse Irrealität solcher Abstraktionen begeistern kann. Was Marcels Herz höher schlagen lässt, ist der konkrete und köstliche Gedanke an seinen kommenden Militärdienst, sein Bildungsgrad wird es ihm erlauben, Offizier zu werden, er stellt sich schon die goldene Linie seiner Anwärterlitze vor, und als bei der Hochzeitsfeier Jean-Baptiste, den Mund vollgestopft mit Krapfen, sich einen Jux daraus machte, ihn mit komischer Feierlichkeit zu begrüßen, bevor er ihm lachend die Haare zerzauste, als wäre er zehn, da kam Marcel nicht umhin, eine unsägliche Freude darüber zu verspüren, die nicht einmal die Kriegserklärung trüben konnte. Jeanne-Marie kam zurück, um sich gemeinsam mit Jean-Baptistes Frau und Kindern im dörflichen Haus niederzulassen. Sie erwarteten die täglichen Briefe von der Maginot-Linie, die ihnen von der Langeweile, der Frustration und vom Sieg erzählten, der junge Ehemann von Jeanne-Marie schrieb ihr, dass sie ihm fehlte, dass die Nächte kühl wurden und er an die Wärme ihrer Haut an der seinen dachte, er hatte es eilig mit dem Angriff der Deutschen, um sie besiegen zu können und zu ihr zurückzukehren, und er schrieb ihr, er werde sie nie mehr verlassen, er schwor es ihr, wenn dies alles nur mehr eine ferne und ruhmreiche Erinnerung sei, dann werde er sie nie mehr verlassen. Die Zeit verging und er schrieb ihr noch Dinge, die er niemals gewagt hätte, ihr direkt zu sagen, nicht einmal gemurmelt, er sprach von ihrem unter Zärtlichkeiten gereckten Bauch, von ihren Schenkeln, ihren Brüsten, deren Blässe ihn sterben machte, und noch einmal vom baldigen Sieg, als müsste der Ruhm des Körpers seiner Frau sich vermengen bis hin zur Verschmelzung mit demjenigen des Landes, das er verteidigte, er wurde mit jedem Tag schwärmerischer, präziser und kriegerischer, und Jeanne-Marie berauschte sich an seinen Briefen und betete zu Gott, er möge ihn ihr bald zurückbringen, ohne zu befürchten, nicht erhört zu werden. Im März 1940, nachdem er dem Militärarzt gegenüber beteuert hatte, dass er noch nie irgendwelche gesundheitlichen Probleme gehabt habe, ließ Marcel schließlich seine Schwester, sein Dorf und seine Eltern zurück, um sich einer Truppe von Offiziersschülern in einem Artillerieregiment aus Draguignan anzuschließen. Auf der anderen Seite des Meeres scheint der Dämon des Geschwürs gelähmt, seiner schädlichen Kraft beraubt zu sein, und zum ersten Mal in seinem Leben erfreut sich Marcel einer Vitalität, deren Existenz er nicht vermutete, er verhält sich wie der gute Schüler, der er immer gewesen ist, und er ist allem anderen gegenüber taub, er hört nicht das Grollen der
Panzer
* , die in den Wäldern der Ardennen knickenden Bäume, das Geschrei der Fluchtbewegungen und die Tränen der Erniedrigung, all die vom Wind der Niederlage verjagten Siegesträume, er hört nicht, was die Stimme von Philippe Pétain über Ehre und Waffenstillstand sagt, und während im Dorf der erste von Jean-Baptiste aus dem Stalag geschriebene Brief und das Telegramm ankommen, das Jeanne-Marie mitteilt, dass sie mit fünfundzwanzig Jahren Witwe ist, hört Marcel endlich, ohne es glauben zu können, wie der Kommandeur den Männern seines Regiments verkündet, dass sie nie Offiziere werden würden, dass sie alle abkommandiert seien zu den
chantiers de
Weitere Kostenlose Bücher