Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Untergang

Untergang

Titel: Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari , Aus dem Französischen von Christian Ruzicska
Vom Netzwerk:
dem Reich zunächst ihre Dienste an, bevor sie dessen Untergang dann beschleunigen und es zerstören. Von uns wird nichts bleiben. Wenige Wochen später kotzten sie Seite an Seite auf dem Liberty-Frachter, der sie durch Stürme hinweg Richtung Algerien brachte. Sturzwellen so dicht wie Schlamm läuterten sie von ihrer Schande und ließen ihnen die Knochen gefrieren. In Maison-Carrée teilte ihnen ein Unteroffizier, der hinter einem kleinen Schreibtisch seine Nase in ein harmloses Register steckte, lässig ihre jeweilige Zuordnung mit, und nichts wies darauf hin, dass es hier geschah, hinter diesem Schreibtisch, dass sich Begnadigungen und Todesurteile voneinander schieden, denn dies war der weihevolle Ort der Gabelung der Wege, der Ort der unwiderruflichen Sonderung von Schafen und Böcken, die einen nach links, die anderen nach rechts, aber niemand fragte, ob sie wählen wollten zwischen dem Ruhm eines Todes im Kampf und einem unbedeutenden Leben, und in dem Moment, da Sébastien Colonna den Namen seines Infanterieregiments erfuhr, hatte er bereits seinen schicksalhaften Gang angetreten in Richtung der Geschosse der Maschinengewehre, die ihn von Anfang an in Monte Cassino erwartet haben. Marcel umarmte ihn mechanisch, ohne zu wissen, dass er von ihm nur noch den auf einem Kriegerdenkmal von unbekannten Händen in goldenen Lettern eingravierten Namen wiedersehen würde, als ob Marmor weniger vergänglich wäre als Fleisch, und stieg in einen Zug nach Tunis. Bei seiner Ankunft erfuhr er, dass man ihn mit seiner Batterie zurück nach Casablanca schickte, damit er dort ausgebildet werde in der Handhabung amerikanischer Luftabwehrgeräte, und er gab es auf, die Logik militärischer Verlegungen nachvollziehen zu wollen. Der Zug fuhr entlang des Meeres in einer mühsamen, drei Wochen dauernden Reise zurück in den Westen. Er lag mit seinen Kameraden ausgestreckt im Güterwaggon auf mit warmem Stroh ausgelegtem Boden, wo er den Großteil seiner Zeit vor sich hin dämmerte und sich nur aus seiner Benommenheit aufraffte, um Karten zu spielen oder öde Ebenen vorbeiziehen zu sehen und schweigsame Städte, von denen keine einzige die Verheißungen seiner Träume hielt, das Meer umspülte die erneut ausgelöschten Gestade und nichts bestand fort von den wunderbaren Erzählungen, welche die Geschichtsbücher bevölkerten, nicht Baals Feuer, nicht Scipios afrikanische Legionen, kein einziger Reiter Numidiens belagerte die Mauern Cirtas, um Massinissa den Kuss der Sophonisbe zurückzubringen, die ihm geraubt worden war, die Mauern wie ihre Belagerer waren gemeinsam dem Staub und dem Nichts zurückgegeben worden, denn Marmor und Fleisch sind gleichermaßen vergänglich, und in Bône war von der Basilika, die die Predigten des Augustinus ebenso wie seinen letzten, vom Geschrei der Vandalen übertönten Atemzug in sich bewahrt hatte, nichts geblieben als ein brach liegendes Terrain, überwuchert von gelben Gewächsen und vom Wind geschlagen. Er nahm in Casablanca Quartier, fest entschlossen, sich wieder reinzuwaschen von seiner Trägheit, um Soldat zu werden, aber die Amerikaner lieferten keine Luftabwehrgeräte und zu warten wurde bald schon derart unerträglich, dass er beinahe wieder ins Bordell gegangen wäre. Er konnte es einfach nicht glauben, dass zu der Stunde, in der sich das Schicksal der Welt entschied, man ihn erneut zur Langeweile verdammt hatte, und die Weite des Atlantiks bot ihm keinerlei Trost. Einen Monat später erfuhr er, dass man Verwaltungsoffiziere suchte, und bewarb sich umgehend. Wenn man ihm schon die Befriedigung des Kampfes versagte, so konnte er zumindest werden, was zu sein er sich immer schon gewünscht hatte. Er fühlte sich endlich glücklich und blieb dies auch, bis der Colonel ihn zu sich kommen ließ, um ihm seine Schande in hanebüchenen Gewaltausdrücken vorzuwerfen, er schäumte, er schlug mit seiner Faust auf den Schreibtisch, Sie sind nichts als ein kleiner Scheißer, Antonetti, und obendrein ein Feigling, und Marcel, völlig entsetzt, stammelte vergeblich, aber mon Colonel, mon Colonel, und der Colonel brüllte, Verwaltungsoffizier?, Verwaltung?, das Wort ›Verwaltung‹ wiederholend, als handelte es sich um eine unsägliche Obszönität, die ihm den Mund verbrannte, Sie haben Angst zu kämpfen, ist es das? Sie verstecken sich lieber, um Kartoffeln und Socken abzuzählen? Scheißer! Kleiner Scheißer!, und Marcel schwor ihm, dass er doch nur lebe, um zu kämpfen, dass er jedoch immer schon

Weitere Kostenlose Bücher