Untergang
habe Offizier werden wollen und dass er jetzt darin eine Möglichkeit erblickt habe, die es zu ergreifen galt, aber der Colonel beruhigte sich nicht, da hätten Sie mich aufsuchen müssen, wenn Sie hätten Offizier werden wollen, ein Offizier der Artillerie, Monsieur!, ein ehrenwerter Offizier!, ich hätte Sie einer Truppe zugeordnet, aber Verwaltung? Um Gottes willen, Verwaltung? Nicht einer meiner Männer wird bei der Verwaltung enden, haben Sie mich verstanden?, nicht ein einziger!, und jetzt verschwinden Sie aus meinen Augen, bevor ich Sie ins Loch stecke! Marcel ging, mit Brennen im Leib, seine Hoffnungen erneut sämtlich unbarmherzig hinweggefegt, und es blieb ihm nichts übrig, als auf die Geräte der Luftabwehr zu warten, die nicht kamen, bis man ihn schließlich ins Vorzimmer eines Oberleutnants der Verwaltung abkommandierte, ohne dass weder der Colonel noch jemand anderer darin etwas Paradoxes oder Skandalöses gesehen hätte. Er kam Ende 1944 mit dem Oberleutnant wieder nach Frankreich und sie zogen langsam, Dutzende von Kilometern hinter der Frontlinie, hoch Richtung Norden. Marcel führte die Register und bereitete schlechten Kaffee. Er hörte kein einziges Mal den Lärm der Waffen. Einmal nur, in Colmar, einige hundert Meter vom Wagen entfernt, den er fuhr, fiel eine fehlgeleitete Granate und wirbelte Staub auf und Schutt. Marcel hielt an. Er betrachtete die in Ruinen liegende Stadt um ihn herum, die keine einzige Granate noch hätte stärker zerstören können. Seine Ohren dröhnten für einige Minuten angenehm. Er wandte sich an den Oberleutnant, um diesen zu fragen, ob es ihm gut gehe, und klopfte sich mit flacher Hand seinen Ärmel sauber, indem er leicht die Augenbrauen runzelte, und dies war sein einziges Waffenerlebnis, war der einzige Punkt, der ihn denken lassen konnte, dass der Krieg ihn nicht vollkommen auf Distanz gehalten hatte. Und jetzt ist der Krieg vorbei und er ist zu Hause inmitten seiner Familie. Er lässt sich von seinem Vater fest umarmen, der ihn zugleich mit seinem Bruder Jean-Baptiste an sich presst und seine Umklammerung wieder löst und sie erneut an sich zieht, als wollte es ihm nicht gelingen, sich davon zu überzeugen, dass man ihm keinen seiner Söhne genommen hatte. Jean-Baptiste strahlt, er hat furchtbar zugenommen. Er hat die drei letzten Kriegsjahre auf einem von vier Schwestern betriebenen Hof in Bayern verbracht, er zwinkert mit dem Auge, als er von ihnen erzählt und sich zuvor vergewissert hat, dass seine Frau ihn nicht sieht, und Marcel fürchtet, dass er sich mit ihm allein zurückziehen möchte, um sich ganz im Vertrauen anstößig auszubreiten. Er möchte es nicht hören. Er ist sechsundzwanzig. Er wird den Hof der Schule in Sartène nie mehr sehen, er ist zu alt, und wenn er seine Hände betrachtet, dann hat er das Gefühl, dass sie bald schon bröckeln werden wie Hände aus Sand. In Paris, auf der Suche nach Jean-Baptiste, hat Jeanne-Marie im Lutetia einen weitaus jüngeren Mann kennengelernt, einen Widerstandskämpfer zurück von der Deportation, und sie verkündet, dass sie ihn heiraten wird. Sie ist bereits vom Kummer zerrieben und weiß es, aber sie tut, als glaube sie noch an Zukunft. Marcel nimmt es ihr übel, derart viele unnütze und lächerliche Anstrengungen an den Tag zu legen, um lebendig zu erscheinen, er leidet darunter, seine Schwester so die Komödie des Vergessens spielen zu sehen, er weigert sich, Freude zu heucheln, und während sie mit den Vorbereitungen für die Hochzeit beschäftigt ist, bringt er ihr ein störrisches und menschenverachtendes Schweigen entgegen. In der Kirche aber, im Augenblick, da sie zum Altar schreitet, an dem André Degorce, schlank und jugendlich in seiner Uniform von Saint-Cyr, bereits auf sie wartet, da hält sie kurz inne, um sich Marcel zuzuwenden und ihm ein kindliches Lächeln zu schenken, auf das er nicht anders reagieren kann, als es unwillkürlich zu erwidern. Sie spielt mitnichten eine Komödie, sie lässt sich ebenso wenig wie zur Verleugnung zur Parodie herab, denn die unendlichen Quellen der Liebe, die sie in sich trägt, bewahren sie davor für immer. Marcel schämt sich seiner Hellsicht und seines Zynismus, und mit dem Licht des Morgens schämt er sich erneut, schämt sich für sein willensschwaches Herz, sein Herz voller Finsternis, er schämt sich gegenüber André, ein so armseliger Krieger gewesen zu sein, er schämt sich seines verächtlichen Glücks und er schämt sich, es nicht freudig
Weitere Kostenlose Bücher