Untergang
genießen zu können, er betrachtet André mit neidvollem Respekt und er schämt sich, ihn hier zu empfangen, in diesem armseligen Dorf, sämtliche Gäste der Hochzeit beschämen ihn, die Colonnas, noch immer in Trauer, und die Susinis, die ihrer zurückgebliebenen, mit ihrem x-ten Bastard schwangeren Tochter erlaubt hatten, sie zu begleiten, und Ange-Marie Ordioni, der knallrot vor Stolz gegen seine mit Medaillen bedeckte Brust den fetten Jungen drückt, den seine Frau eben erst im Dreck ihrer Schäferei zur Welt gebracht hat, er schämt sich seiner eigenen Eltern, Jean-Baptistes obszöner und strotzender Vitalität und er schämt sich seiner selbst, der er in der Brust ein Herz trägt, das willensschwach ist und voller Finsternis. Er betrachtet seine Schwester beim Tanz, in den Armen von André. Die Kinder laufen zwischen den wackeligen Tischen herum. Ange-Marie Ordioni lässt seinen Sohn einen Finger saugen, den er zuvor in sein Glas Rosé getaucht hat. Marcel hört die Lacher und die falschen Töne des Akkordeons, hört Jean-Baptistes donnernde Stimme. Er setzt sich in die Sonne zu seiner Mutter, die seine Hand ergreift und traurig nickt. Sie allein scheint nicht zu genießen, dass das Leben wieder anhebt. Wie soll denn das Leben wieder anheben können, wo es doch noch nicht einmal begonnen hat?
* im Original steht hier ebenfalls das deutsche Wort
Panzer
.
»Was der Mensch schafft, das zerstört der Mensch.«
Im August, kurz vor ihrer Abreise nach Algerien, kam Aurélie für gut zwei Wochen mit demjenigen, der gegenwärtig das Leben mit ihr teilte, ins Dorf und war überrascht zu sehen, wie sich das sprudelnd bunte Leben überallhin versprühte und alles und jeden erfasste, seinen Ursprung jedoch ganz offensichtlich in der Bar ihres Bruders fand. Man traf dort auf ein bunt gewürfeltes und vergnügtes Publikum, unter die Stammkunden mischten sich junge Leute aus den umliegenden Dörfern sowie Touristen sämtlicher Nationalitäten, allesamt aufs Unglaublichste vereint in einer festlichen und alkoholisierten Gemeinschaft, die allen Erwartungen zum Trotz kein einziger Streit verstörte. Man hätte meinen können, dass dies der von Gott erwählte Ort sei, das Reich der Liebe auf Erden zu erproben, und selbst die Anwohner, die für gewöhnlich so eilfertig sind mit Beschwerden über alle möglichen Belästigungen, darunter in vorderster Reihe die schlichte Existenz ihrer Zeitgenossen, setzten das unveränderliche selige Lächeln der Erwählten auf. Bernard Gratas, siegreich aus der Unterwelt zurück, schien inzwischen berührt vom Hauch des Geistes, dem nichts entgeht. Er hatte eine überwältigende Beförderung genossen, die ihn direkt von den Qualen des Spülsteins zur Produktion von Sandwichs katapultierte, eine Aufgabe, die er frohgemut und flink erfüllte. Vier Kellnerinnen durchpflügten den Gastraum und die Terrasse mit anmutig erhobenen Tabletts, hinter dem Tresen saß eine ältere Frau auf einem Schemel und bewachte die Kasse, ein junger Mann sang zur Gitarre korsische, französische, englische und italienische Lieder, und sobald er eine mitreißende Weise anstimmte, klatschten alle Gäste enthusiastisch in die Hände. Matthieu und Libero widmeten sich eingehend den zwischenmenschlichen Beziehungen, zogen von Tisch zu Tisch, sich nach dem Wohlergehen ihrer Gäste zu erkundigen, ließen ganze Runden nachbestellen und streichelten kleinen Kindern übers Kinn, nachdem sie ihnen ein Eis spendiert hatten, und sie waren die Herren einer perfekten Welt, eines gelobten Landes, in dem Milch und Honig flossen. Selbst Claudie musste sich der Lage beugen und seufzend sagte sie: »Vielleicht ist er ja dafür gemacht«, sie betrachtete ihren Sohn, wie er da strahlend vor Glück von Tisch zu Tisch zog, und sagte noch: »Ist es nicht sein Glück, das zählt?«, und Aurélie wollte sie nicht verstimmen und ihr eingestehen, dass Matthieu sie über alle Maßen verärgerte und sie in seinem Glück nichts anderes sah als den Ausdruck des Triumphes eines verzogenen Kindes, eines kleinen Bengels, der mit Geschrei und Tränen schlussendlich das Spielzeug erhalten hatte, das er begehrte. Sie schaute ihm zu, wie er sein Spielzeug vor erobertem Publikum handhabte und wie er auftrumpfte mit seiner Freude, und es stand zu befürchten, dass die Verärgerung, die sie dabei verspürte, nicht einmal tiefgehend und anhaltend sei, denn sie war nicht Teil des Leidens einer enttäuschten Liebe, auch nicht der Wut, sie war nichts als der
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