Untergang
sich dem Regen und dem Glatteis auszusetzen, nur um hier, in einem Dorf, das sich in nichts von den anderen unterscheide, einen Pastis zu trinken, der genauso schmecke wie überall sonst auch, das sei offensichtlich, und Vincent Leandri hätte darauf hingewiesen, dass Geschäfte, die funktionieren, Gefahr liefen, überfallen zu werden, vor allem heutzutage, klar seien die Leute schon seit Anbeginn der Zeiten Diebe gewesen, aber man könne ja auch Dieb sein, ohne zugleich ein Arschloch sein zu müssen, und heutzutage gäben sich die Leute eben nicht mehr damit zufrieden, Diebe zu sein, sie seien zudem richtige Arschlöcher, sie seien fähig, den Abend lang ihren Aperitif zu trinken, Späße zu machen, einem zum Abschied beim Rausgehen ein Küsschen zu geben und zehn Minuten später vermummt wieder reinzukommen, um dir ’ne Knarre unter die Nase zu halten und mit deiner Kasse abzuhauen, bevor sie sich dann hinlegen und den Schlaf der Gerechten schlafen und dann sogar zum nächsten Aperitif wiederkommen, als wäre nichts gewesen, obgleich sie dir am Vorabend zweimal den Revolvergriff in die Zähne gerammt und Annie zweimal die Fresse poliert haben als Zugabe, einfach so, aus purer Lust am Arschlochsein, und Vincent habe nicht von möglichen Risiken gesprochen, sondern von etwas Unausweichlichem, da gehe es nicht um Spannung, das würde passieren, früher oder später, das sei in Stein gemeißelt, und von daher habe er dazu geraten, eine Knarre zu kaufen, so schnell wie möglich. Aurélie hob die Augen zum Himmel.
»Und so lauft ihr jetzt, wenn ich es recht verstehe, nicht nur Gefahr, ausgeraubt zu werden. Ihr könntet sogar Gefahr laufen, getötet zu werden oder jemanden zu töten. Eine höchst brillante Argumentation. Bravo! Und ich erinnere dich, dass Vincent Leandri ein Säufer ist!«
Aber sie lag falsch, Matthieu hatte nicht die geringste Absicht, jemanden zu töten, ebenso wenig wie Libero, man musste das als Abschreckung verstehen, mehr nicht, und er selbst hatte lange gebraucht, bis er die ganze Subtilität der Abschreckungslogiken erfasst hatte, das erste Mal, als er der Kasse hatte Begleitschutz geben müssen, kam er abends gegen sieben in der Bar an, die Pistole in die Hose gesteckt, es war gerammelt voll, und er ging hinter den Tresen, wo er sich diskret verrenkte, um die Pistole in eine Schublade zu legen, ohne dass es jemand bemerkte, was bei der Menge an Typen am Tresen und bei der Größe der Pistole nicht grade einfach war, und Libero hatte ihm einen Moment lang zugesehen und ihn gefragt: »Darf ich wissen, was du da treibst?«, und Matthieu hatte ihm zugeflüstert: »Na, ich verstaue das Kaliber in der Schublade«, und Libero hatte zu lachen begonnen und Vincent Leandri hatte ebenfalls zu lachen begonnen, und gar keine Frage, dass sie ihn zurecht verarschten, also wirklich, was nütze einem denn ’ne Knarre, wenn niemand weiß, dass man ’ne Knarre besitzt?, das Ding sei doch, dass jeder es wissen müsse, weil dann erst, dann erst sagen sich die Räuber, egal was für Arschlöcher sie auch immer sein mögen, dass es besser wäre, sich woanders was zu holen, bei Typen, die keine Knarre besitzen, und inzwischen zog Matthieu abends, wenn er dran war, die Pistole ostentativ aus seinem Gürtel und legte sie für einen Moment auf den Tresen, mit aller Selbstverständlichkeit, und legte sie dann erst in aller Ruhe in eine Schublade, aus der er sie bei Ladenschluss wieder hervorholte, so funktionierte seine Abschreckung, die Räuber, das waren die Kubaner, sagen wir es so, und Libero und er, sie waren Kennedy, die Methode hatte sich schon einmal als effektiv erwiesen, aber Aurélie seufzte noch immer und sie hätte auch noch weiter ernsthaft seufzen müssen, wenn Matthieu ihr nur zugestanden hätte, dass er, Abschreckung hin oder her, klar entschieden war, den ersten Dreckskerl wie einen Hund niederzustrecken, der ihm die Kasse würde stehlen wollen.
»Und du willst mit einer Knarre zu Hause aufkreuzen?«
Matthieu zuckte mit den Schultern.
»Natürlich nicht. Die bringen wir zu Libero.«
Er hatte überhaupt keine Lust auf ein Familienessen. Seine Eltern kamen eigentlich nie zu Weihnachten. Es war das erste Mal. Und sie hatten darauf bestanden, dass Aurélie dabei war, was der Mann, der das Leben weniger und weniger mit ihr teilte, nur schwer hatte akzeptieren können. Seit dem Sommer hatte er nur einige Tage im Oktober mit ihr gemeinsam gehabt. Anstatt umgehend nach Frankreich zurückzukehren, sobald
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