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Untergang

Untergang

Titel: Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari , Aus dem Französischen von Christian Ruzicska
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Staus und Müllablagerungen unter freiem Himmel, die Wasserunterbrechungen, die Personenkontrollen an Straßensperren, und die stalinistische Hässlichkeit des riesigen Hotel d’État, in dem das komplette Team in Annaba untergebracht war, mit seinen abrissreifen Zimmern, die auf ausgestorbene Flure führten, schien ihr beinahe herzergreifend. Sie beklagte sich über nichts, ihre Zustimmung war eine umfassende, denn jede Welt ist wie ein Mensch, sie bildet ein Ganzes, bei dem es unmöglich ist, sich nach Gutdünken zu bedienen, und wie ein Ganzes muss man sie entweder von sich weisen oder akzeptieren, die Blätter und die Frucht, die Spreu und den Weizen, die Niedertracht und die Anmut. In einer Schatulle aus Staub und Schmutz ruhten der hohe Himmel der Bucht, die Basilika des Augustinus und das Schmuckstück einer unerschöpflichen Großzügigkeit, deren Glanz auf den Staub und den Schmutz abstrahlte. Alle vierzehn Tage aber flog sie dennoch heim nach Paris, um das Wochenende bei ihrem Vater zu verbringen. Als sie ihnen erzählt hatte, dass er krank war, zeigten sich ihr gegenüber alle Kollegen fürsorglich. Man bot ihr kiloweise Kuchen für ihren Vater an sowie Gebete zur Genesung. Massinissa Guermat bestand darauf, sie zum Flughafen zu begleiten, und er erwartete sie auch bei ihrer Rückkehr. Anfang April saß sie mit ihrer Mutter am Krankenhausbett, in dem ihr Vater nach seiner Behandlung versuchte, wieder zu Kräften zu kommen. Er hatte sich den Kopf rasiert, um nicht sein Haar ausfallen sehen zu müssen. Er bat um ein Glas Wasser, das Aurélie ihm reichte. Er ließ es fallen, als er es an seine Lippen führte, er verdrehte seine Augen und wurde ohnmächtig. Claudie warf sich auf ihn und schrie: »Jacques!«, und er schien wieder zu sich zu kommen, er schaute seine Frau und seine Tochter an, sprach dabei unzusammenhängende Worte, griff nach Aurélies Handgelenk und zog sie zu sich, seine Augen glichen denjenigen eines Tieres im Todeskampf, voller Angst und Nacht, er versuchte zu sprechen, aber es gelang ihm nicht, und dennoch verwandte er seine ganze Energie darauf, er ließ wirre Silben aus seinem Mund dringen, manchmal ganze Wörter, herausgerissen aus Sätzen, die sein kranker Körper grausam gefangen hielt, Wörter, die die Sprache parodierten und auf nichts anderes verwiesen als auf ein grausames Schweigen, weitaus älter als die Welt, und er fiel zurück in seine Kissen, noch immer ans Handgelenk seiner Tochter geklammert. Ein Arzt und eine Krankenschwester kamen und forderten Claudie und Aurélie auf hinauszugehen. Sie warteten im Flur und der Arzt kam, um mit ihnen zu sprechen, er sagte etwas über Niereninsuffizienz und Harnvergiftung, und als sie ihn fragten, was nun passieren würde, antwortete er ihnen, dass er es nicht wisse und man abwarten müsse, und dann ging er. Claudie schloss die Augen.
    »Ich glaube, du musst deinen Bruder anrufen, ich kann es nicht.«
    Aurélie ging, und als Matthieu abhob, hörte sie Lachen und Musik. Anfangs schien er nicht zu verstehen, was sie sagte. Die Behandlung wäre doch gut verlaufen, seine Mutter hätte es ihm jedes Mal versichert, wenn sie telefonierten, es gäbe keinen Grund zur Beunruhigung. Sie schloss die Augen.
    »Matthieu, hör zu: Er ist nicht mehr wiederzuerkennen. Das ist nicht mehr er. Hörst du, was ich dir sage?«
    Matthieu schwieg. Sie hörte die Musik, die Stimmen, die dazwischenriefen, wieder Lachen. Schließlich murmelte er: »Ich mache mich fertig. Ich komme.«
    Am nächsten Tag ging es Jacques Antonetti wider Erwarten viel besser. Er hatte keine Erinnerung mehr an das, was sich am Vortag abgespielt hatte. Er versuchte zu scherzen. Er entschuldigte sich bei Aurélie und Claudie für die Angst, die er ihnen eingejagt hatte. Der Arzt meinte, dass es besser wäre, ihn im Krankenhaus zu behalten. Im Krankenhaus könne man mit aller gebotenen Schnelligkeit reagieren, sollte erneut etwas passieren. Falls Claudie es wünschte, würde man ihr im Zimmer ihres Mannes ein Feldbett aufstellen, und sie antwortete, dass dies hervorragend wäre. Aurélie rief erneut Matthieu an, der erleichtert war und ihr beinahe vorwarf, ein apokalyptisches Szenario einer doch wunderbar gemeisterten Situation entworfen zu haben. Sie gab sich gar nicht erst die Mühe, darauf zu antworten.
    »Und, wann kommst du?«
    Matthieu machte sie darauf aufmerksam, dass ja keine Eile mehr geboten wäre und er sehr beschäftigt sei mit den Vorbereitungen für die Saison und dass er,

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