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Untergang

Untergang

Titel: Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari , Aus dem Französischen von Christian Ruzicska
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es ihr möglich gewesen wäre, war sie der Einladung ihrer algerischen Kollegen, die ihr ermöglichten, die Gelände von Djémila und Tipasa anzusehen, gefolgt, da sie diese angeblich nicht beleidigen wollte, denn von nun an gewährte sie Menschen, die sie kaum kannte, ihre Aufmerksamkeit und ihre Zuvorkommenheit und nicht ihm, der ja immerhin seit Jahren das Leben mit ihr teilte und sich nun mit der wenigen Zeit zufriedengeben musste, die sie ihm mit verletzender Direktheit zugestand, und jetzt hatte er auch noch zu ertragen, dass sie ihr gemeinsames Leben um diese zusätzlichen Tage, die sie im Dorf bei der Familie verbringen würde, beschnitt, ohne ihn gefragt zu haben, ob er sie nicht etwa begleiten wolle, als hätte es sich von allein verstanden, dass er nicht Teil war ihrer Familie. Und an diesem Abend, bei Tische, da dachte sie nicht an ihn, als sie den außergewöhnlichen Reichtum eines seit Jahren dem Vergessen anheimgegebenen Geländes heraufbeschwor, die Trophäen, der gegürtete Harnisch eines langen Mantels aus Bronze, die Gorgonenhäupter, die von den Ziergiebeln marmorner Brunnen verschwunden waren, die Säulengänge der Basiliken, und sie sprach von der Freundlichkeit ihrer algerischen Kollegen, deren Namen sie sich bemühte, richtig auszusprechen, Meziane Karadja, Lydia Dahmani, Souad Bouziane, Massinissa Guermat, von ihrer Hingabe, ihrem Talent und dem Glauben, mit denen sie aus dieser Anhäufung toter Steine für die Kinder aus den Schulen einen Ort voller Leben haben erstehen lassen, und vor den Augen der Kinder bedeckte sich das gelbe Gewächs mit Fliesen und Mosaiken, der alte numidische König ritt, vom verlorenen Kuss der Sophonisbe träumend, auf seinem großen melancholischen Pferd vorbei, und Jahrhunderte später, am Ende einer langen heidnischen Nacht, drückten sich die auferstandenen Gläubigen einer gegen den anderen und gemeinsam gegen die Chorschranke und warteten darauf, dass sich unter ihnen im erleuchteten Kirchenschiff die Stimme erhob des Bischofs, der sie liebte: »Höret mich, Ihr, die mir teuer seid«, aber Matthieu vernahm keine Stimme, er schaute auf seine Uhr und dachte an die lebendigen Arme von Izaskun, an die von Agnès, an alles, was er mit niemandem teilen wollte, und als die Nachspeise auf den Tisch gestellt worden war, da verkündete er, dass er keinen Hunger mehr habe und gehen werde. Sein Vater aber sagte: »Nein, bitte, bleib noch einen Augenblick, es wird nicht lange dauern«, und Matthieu blieb sitzen, trank einen Kaffee, half, den Tisch abzuräumen, und als sein Großvater und seine Mutter schlafen gegangen waren, da stand er wieder auf, aber sein Vater sagte wieder: »Nein, bitte, ich muss mit euch reden, mit dir und deiner Schwester, setzt euch«, und er begann, mit Ruhe und Ernst zu ihnen zu sprechen, ohne ihnen jedoch in die Augen zu sehen, er fühle sich seit einiger Zeit müde, er habe Untersuchungen anstellen lassen und sei krank, richtiggehend schwer krank, sagte er, und dies verstand Matthieu genau, er begriff jedoch nicht, warum nur Aurélies Gesicht sich mehr und mehr verzerrte, je länger ihr Vater mit ihnen sprach und ihnen Details der Behandlung schilderte, die er nun zu befolgen habe und die, ganz bestimmt, wirksam sein würde, eine probate, beinahe banale Behandlung, und dennoch vergrub Aurélie ihr Gesicht in den Händen und wiederholte immer wieder: »Papa, mein Gott, Papa«, wo er doch so krank nun gar nicht sein konnte, er sagte es ja selbst, und Matthieu stand auf, um sich einen Whisky einzuschenken, er versuchte sich vergeblich auf die Worte seines Vaters zu konzentrieren, doch Izaskuns Hände legten sich auf seine Ohren, um zu verhindern, dass er höre, und die Hände von Agnès berührten ganz leicht seine Lider, so wie man eines Toten Augen verschließt, um zu verhindern, dass er sähe, und all seinen Anstrengungen zum Trotz konnte er seinen Vater, Jacques Antonetti, weder hören noch sehen, wie dieser, so gut er es vermochte, seinen Kindern erklärte, dass er wohl bald zu sterben habe, da seine Ansprache keinen Platz in der besten aller möglichen Welten hatte, der Welt des Triumphes und der Unbekümmertheit, und er konnte daraus keinen irgendwie fassbaren Sinn für sich ableiten, da war nur ein unangenehmes Gemunkel, der beunruhigende Sog eines unterirdischen Flusses, dessen ferne Macht die Ordnung nicht zu bedrohen vermochte dieser perfekten Welt, in der es nichts anderes gab als die Bar, Neujahr, das vorrückte, ein Freund, der war

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